Blum
„Know-how generiert sich in den Märkten, nicht in der Zentrale“

Von Produktinnovationen bis zu gesellschaftlichen Themen. Ein Gespräch mit André Dorner, Geschäftsführer Deutschland und Head of Sales Westeuropa bei Blum, dem Weltmarktführer im Segment Möbelfunktionsbeschläge, kurz vor der Interzum.
INSIDE: Aus der Einladung, die Blum zur Interzum ausspricht, geht hervor, dass Sie Ihr Angebot in Bereichen außerhalb der Küche nochmals ausweiten wollen. Haben wir das richtig interpretiert?
André Dorner: Unser Messemotto lautet heuer „For everyone, everywhere“. Wir haben das Motto von 2023 „For everyone“ damit erweitert. „Everyone“ umfasst dabei verschiedene Zielgruppen. Wir hatten schon immer einen Fokus auf die Möbelindustrie, auf handwerkliche Verarbeiter und auch auf Händler, die für uns natürlich in der Marktbearbeitung wichtige Partner sind, bis hin zum Konstrukteur, zum Architekten. Das erweiterte Motto umfasst mit dem Wort „everywhere“ nun außerdem die verschiedenen Wohnbereiche. Blum findet man schon heute in sämtlichen Bereichen, schließlich bringen wir einen großen Anteil unserer Produkte über handwerkliche Verarbeiter in den Markt. Über die wird Blum schon längst auch außerhalb der Küche eingesetzt, auch im Ladenbau oder für die Hotellerie.
Und jetzt geht es mit den Lösungen auch an die Industrie ran?
Jetzt nehmen wir uns auch spezifischer vor, den hohen Qualitätsstandard bei den Produktlösungen und Services, für den Blum in der Küche bekannt ist, auch in anderen Bereichen zu erfüllen.
Wie verteilt sich das Geschäft denn bislang auf die verschiedenen Wohnbereiche?
Das lässt sich für uns global schwer messen, zumindest im handwerklichen Bereich. Auf der industriellen Seite des Geschäfts überwiegt klar der Bereich Küche und Bad. Darauf lag auch lange Zeit unser Innovationsfokus, und nicht zu vergessen, in dem Bereich ist der Ausstattungsgrad immer deutlich höher gewesen. Wir sehen nun, dass es Möglichkeiten gibt, diesen auch in anderen Wohnbereichen auszubauen. Schon auf der letzten Interzum haben wir Themen präsentiert, die genau dorthin passen, eine Sieben-Achtel-Führung zum Beispiel. Da wollen wir jetzt weiter aufsetzen.
Verraten Sie uns noch, wohin es durch diese Neuheit gehen soll, die für Ordnung im Schlafzimmer sorgt? Es geht nicht nur ums Schlafen, oder?
Auch um Wohnen und Diele oder Garderobe. Wie wir das angehen wollen, werden wir dann auf der Interzum zeigen.
Dass Ordnung für Endkundinnen und Endkunden generell ein sehr wichtiges Thema ist, kam schon in den Briefing-Gesprächen für die tiefenpsychologische Studie heraus, die das Rheingold-Institut bis zum INSIDE-Gipfel für uns erstellt. Uns selbst hat gewundert, dass es außer Ikea in der Branche kaum jemand in den Vordergrund stellt.
Auch wir sehen international große Unterschiede darin, wie stark das Thema Ordnung im Rahmen des Verkaufsprozesses präsent ist. In Japan ist es beispielsweise oberste Prämisse. Schon während des Verkaufs wird Organisation als Argument sehr hervorgehoben, insbesondere in der Küche wird Endkunden ein riesiges Portfolio an Lösungen angeboten. In Europa haben wir als Branche eine Aufgabe, diese zu kommunizieren und Kunden im Verlauf des Kaufprozesses im richtigen Moment abzuholen.
„In 80 Minuten um die Welt“ steht auf der Einladung. Bedeutet das, so viel Zeit sollte ich mir auf der Interzum für den Besuch des Blum-Standes nehmen?
Wir haben uns thematisch am Motto „For everyone, everywhere“ angelehnt und haben auch Anleihe bei Jules Verne genommen. Es signalisiert, wir sind weltweit präsent. Wir sind nahe am Kunden, wir hören den Kunden zu, bringen die Bedürfnisse aus den Märkten ein in unsere Produktentwicklung und teilen umgekehrt auch das Know-how, das wir dadurch gewinnen mit unseren Kunden. Auf dem Messerundgang taucht der Kunde nicht nur in unterschiedliche Wohnwelten ein, sondern auch in regionale Ausprägungen. Für uns ist der Messeauftritt aber auch nicht nur ein Lautsprecher, mit dem wir Botschaften nach außen tragen. Es geht um den Dialog. Man kann auf unserem Stand sehr gut 80 Minuten verbringen, ohne dass es langweilig wird. Wir passen uns aber natürlich auch den Bedürfnissen und dem Zeitbudget der Besucher an. Eine typische Verweildauer liegt zwischen einer und eineinhalb Stunden
Eine Frage, die wir seit Jahren immer wieder stellen, in der Hoffnung, irgendwann mal DIE Antwort zu bekommen: Wann ist mit der nächsten Produktrevolution zu rechnen? Die letzte war wohl die Dämpfung zu Beginn der 2000er Jahre.
Wenn man sich den Zeitraum der letzten 20 Jahre ansieht, stellt man durchaus große Schritte fest. Klappen beispielsweise, die zusammen mit elektromotorischen Antrieben neue Möglichkeiten bei der Ergonomie, aber auch der Gestaltung in den Oberschrank gebracht haben. Oder Pocketsysteme, die eine ganze andere Art der Wohnraumgestaltung zulassen. Letztlich entwickeln wir Produkte, die Verbrauchern Nutzen stiften. Das sind keine Gimmicks. In der Zukunft werden revolutionärere Schritte immer damit einhergehen müssen, dass wir auch daran denken, wie ein Möbel konstruiert und montiert wird. Das können wir als Beschlagshersteller nicht allein gestalten.
Sie müssen die Möbelhersteller mit ins Boot nehmen, auch die Monteure.
Man muss sich die gesamte Prozesskette ansehen. Wichtig wird der Dialog mit unseren Kunden aus der Möbelindustrie sein, aber auch mit Maschinenbauern.
Sieht man solche Innovationen der fertigen Küche oder dem fertigen Möbel dann auch an? Oder sind es Dinge, die den Prozess erleichtern? Die sich im Hintergrund abspielen?
Sie können dann auch am Endprodukt sichtbar sein – ich denke beispielsweise an die Integration von Beschlägen wie bei Hochklappen. Hier greife ich in den Konstruktions- und Fertigungsprozess ein, habe aber auch ein anderes Design.
Sowas geht dann mit hohen Investitionen einher, bei denen sicher manche Möbel- und Küchenproduzenten gerade zögerlich sind.
Alles Revolutionäre hat die Tendenz dazu, größeren Invest und größere Veränderungen nach sich zu ziehen. Viele Produkte der letzten Jahre haben aber auch einfach Weiterentwicklung ermöglicht, also Evolution. Heute verkaufte Möbel sind nicht mehr vergleichbar mit dem, was es vor 15 oder 20 Jahren gab. Das Qualitätsniveau hat sich gewaltig gesteigert.
Wie schaut es momentan aus im Markt? Ist endlich eine Belebung in Sicht?
Nach dem Hoch der Corona-Jahre und der darauffolgenden deutlichen Abkühlung sehen wir zurzeit eine stabile Entwicklung. Im Laufe von 2024, insbesondere im zweiten Halbjahr und auch jetzt in den ersten Monaten des Jahres 2025 verlief das Geschäft wieder leicht positiv. Starke Wachstumsimpulse gab es noch nicht, und global gesehen ist die Geschwindigkeit in den einzelnen Märkten unterschiedlich.
Und hier bei uns in Europa?
In Europa fehlen nach wie vor die Mengen, weil die große Zahl der Konsumentinnen und Konsumenten bei Investitionen noch zurückhaltend ist. Gleichzeitig wissen wir, dass das Zuhause eine hohe Bedeutung hat. Wir haben nach wie vor einen großen Aufholbedarf im Wohnbau, den es irgendwann abzudecken gilt, vor allem in den Ballungsräumen Westeuropas. Da hat die Politik eine Aufgabe. Für 2025 sehen wir noch keinen großen Ruck kommen, sind aber für die Jahre 2026 und 2027 durchaus optimistisch.
Das betrifft die Umsatz- bzw. die Mengenentwicklung? Und darüber hinaus?
Natürlich sehen wir in der Branche wie auch in anderen Branchen riesige Verwerfungen. Firmen gehen aus dem Markt, werden übernommen und haben zu kämpfen. In dieser Marktsituation ist es wichtig, unseren Kunden zu zeigen: Wir sind verlässlich und auch finanziell sehr solide. Auch in der momentanen Situation können wir Innovationen und Prozesse antreiben und investieren. Damit bereiten wir uns vor auf eine Zeit des Aufschwungs.
Ist die aktuelle Krise ein tieferer Einschnitt als damals die Finanzkrise, die auch viele Zulieferer hart getroffen hat?
Der Einbruch, den wir ausgelöst durch die Finanzkrise hatten, war ein tiefer, aber relativ kurzer. Der Zeitraum, über den die aktuelle Krise andauert, ist nun schon lang. Für Blum als Unternehmen ist die Lage glücklicherweise nicht bedrohlich Doch wir sehen, was im Markt draußen passiert. Uns beschäftigen viele Faktoren, von denen wir viele nicht unmittelbar beeinflussen können. Dennoch müssen wir damit umgehen.
Wie wirken sich die aktuellen Veränderungen in der Gesellschaft, in der Weltpolitik, überhaupt die großen Themen dieser Zeit auf Ihre Arbeit aus?
Es sind so viele Themen, die im Moment Einfluss haben und die wir mit Sorge sehen. Für uns als global agierendes Unternehmen sind die protektionistischen Tendenzen natürlich eine Herausforderung. Wo hat man seine Produktionsstandorte? Wie sichert man Warenflüsse und die Versorgung mit Rohmaterialien? Politik kann nicht nur das Vertrauen von Konsumenten, sondern auch das von Anlegern schnell verspielen. Wir müssen die Zugänge zu unseren Märkten absichern.
Was beschäftigt Sie noch?
Nachhaltiges Wirtschaften beschäftigt uns seit vielen Jahren und ist ja auch Teil unserer Unternehmenskultur. Hier setzen wir uns als Unternehmen hohe Ziele. Es spielen aber auch Regulatorien in den verschiedenen Markträumen rein, die zu erfüllen sind. Wir können dem Green Deal der Europäischen Union viel Positives abgewinnen, aber Zweckmäßigkeit, Geschwindigkeit und auch der internationale Abgleich sind wichtig. Es dürfen keine Wettbewerbsnachteile entstehen. Als Beschlagsindustrie haben wir noch immer einen hohen Wertschöpfungsanteil in Europa. Das sieht in vielen anderen Branchen schon ganz anders aus. Damit die Produktion weiterhin größtenteils in Europa stattfinden kann, müssen die Rahmenbedingungen passen.
Zu denen gehört nicht nur der Green Deal.
Zu den Rahmenbedingungen gehören auch politische und militärische Sicherheit, eine gesicherte Rohstoffversorgung oder angemessene Energiepreise. Wir stehen außerdem vor großen Herausforderungen bei den demografischen Veränderungen. Hier wünschen wir uns von der Politik an vielen Stellen mehr Sachlichkeit. In Europa brauchen wir Zuwanderung. Die Frage stellt sich eigentlich gar nicht, wenn man Zahlen, Daten und Fakten interpretieren kann. Das Thema Migration muss positiv gestaltet werden. Wenn wir wirtschaftliche Prosperität haben wollen, ist es ein Thema, das man sachlich gestalten muss, nicht populistisch. Im Unternehmen wissen wir das sehr gut.
Wie haben sich bei Blum die Unternehmensführung und die Mitarbeiterführung in den letzten Jahren gewandelt?
Wir haben Werte in der Führung definiert, die nicht nur den Führungskräften vermittelt werden, sondern die auch in den Teams kommuniziert werden. Diese Werte dürfen Mitarbeitende auch als Anspruch an die Führungskräfte formulieren. Ein Thema, das immer in einer guten Balance gehalten werden muss, ist Remote Work. Wir hatten nach Ende der Pandemie keine Return-to-Office-Initiative, aber wir haben schon geschaut, dass persönliche Kontakte erhalten bleiben. Gleichzeitig ermöglichen uns die digitalen Kommunikationswege heute die Einbindung auch von Kolleginnen und Kollegen weltweit. Wir können auch Mitarbeiter aus internationalen Tochtergesellschaften in Verantwortungen mit reinnehmen. Früher hätte so etwas einen Wohnortwechsel bedingt. Das ist unheimlich wertvoll, da wir dadurch diverser werden. Wir bekommen Ideen aus anderen Erdteilen, können die Leute viel stärker bei der Ausarbeitung von Prozessen und Produkten integrieren. Wir wollen das auch weiter fördern. Immer mit dem Ziel, so nah wie möglich am Kunden zu handeln. Know-how generiert sich ja in den Märkten, nicht in der Zentrale. n