Best of INSIDE Spezial Neue Ideen: Kichechef
„Unsere Mitarbeiter sind unser Gold von morgen“

Henri Hilgert war Metzgermeister, als er vor 50 Jahren ein kleines Küchenstudio gründete. Heute verkauft Familie Hilgert auf 38.000 qm Möbel und Küchen im größten Möbelhaus des kleinen Großherzogtums Luxemburg – in Capellen in ihrem Kichechef. Ein Besuch in einem Land, in dem Möbel eher mit Festivals als mit Rabatten verkauft werden. (Eine Reportage von Outsider Nikolaj Wulff aus dem INSIDE Spezial Neue Ideen im Januar 2023).
Ein Abend unter der Woche im Januar: Kurz nach dem Grenzübertritt auf der Autobahn aus Deutschland in Richtung Luxemburg blenden uns die Lichter der entgegenkommenden Autos. Es sind viele Autos, die sich durch die engen Baustellenspuren schlängeln. Es herrscht ein kilometerlanger Stau in Richtung Deutschland. Wie wir später erfahren, pendeln täglich Hunderttausende Personen ins Land. Und die müssen natürlich auch wieder nach Hause. Bedeutet: Stau ohne Ende – und das täglich. Unsere Reise führt uns zum größten Möbelgeschäft in der Region: Kichechef im Kanton Capellen. Empfangen werden wir von Mireille Hilgert, Tochter des Kichechef-Gründers Henri Hilgert. Mireille Hilgert führt das VME-Haus mittlerweile in zweiter Generation mit ihrem Bruder Marc. Er kümmert sich um die Zahlen. „Ich kümmere mich um alles, was menschelt“, sagt Hilgert beim Mittagessen im hauseigenen Restaurant in der Kichechef-Eingangshalle. An diesem Dienstag Anfang Januar stehen eine Thai-Kokos-Suppe und Fleischpflanzerl mit Salat auf der Speisekarte. Alles hausgemacht. Der Mittagstisch ist in der Region bekannt. Das Bistro gut besucht.
Dass Familie Hilgert mal Luxemburgs größtes Möbelgeschäft betreiben würde, war zum Start nicht absehbar. Im Jahr 1976 gründete Henri Hilgert, eigentlich Metzgermeister, sein kleines 80-qm-Küchenstudio Decorama. Nicht mal zehn Jahre später waren aus den 80 qm schon 2.000 qm geworden. Es ging schnell voran. Der Bedarf war da – und Hilgert findig und ein quirliger Unternehmer. Und deshalb fiel ihm auch schnell auf, dass er nochmal an den Namen ranmusste. Der Name des Filialisten Conforama, damals in Luxemburg aktiv, klingt schließlich fast wie Decorama. Nachdem die damals beliebte RTL-Kochshow „De Kichechef“ in seinen Räumlichkeiten gedreht wurde und Hilgert die Küchen für die Show zur Verfügung stellte, lag es nahe, hier anzudocken. Aus Decorama wurde Möbel Kichechef – und das Geschäft immer größer. 2010 dann der ganz große Um- und Ausbau auf insgesamt 38.000 qm. 75 Küchen verschiedenster Marken stehen in der Ausstellung. Und eben auch Möbel.
Trotzdem heißt das Haus heute nur noch Kichechef. Klingt auch besser. Der Eindruck vor Ort: Das Möbelhaus wirkt wie ein modernes Kreuzfahrtschiff mit verschieden Decks. Mit Balkonen und Licht ohne Ende. Durch die große Glasfront flutet das Tageslicht in fast alle Ecken des Hauses, das nur einen Steinwurf von der belgischen Grenze entfernt liegt, wo auch gleich, was sonst, ein Ikea steht. Die Küchensparte steuert heute 50 Prozent zum Umsatz bei, die anderen 50 Prozent kommen aus dem Wohnen.
Wer denn der typische Kichechef-Kunde sei, wollen wir wissen. Hilgert: „Die Frage ist schwer zu beantworten. Luxemburg ist nicht groß, aber es gibt viele Nationalitäten in unserem Land. Nur die Hälfte der Einwohner besitzt die luxemburgische Staatsbürgerschaft“, sagt Mireille Hilgert. Knapp 15 Prozent der Einwohner haben portugiesische Wurzeln, sie sind die größte Einwanderergruppe im Land, leben hier oft bereits in dritter Generation. „Wir haben bei uns im Haus Kunden aus Luxemburg, Belgien, Frankreich, Portugal und hin und wieder auch ein paar aus Deutschland“, erzählt die Möbelhaus-Chefin. Dies sei allerdings nur ein Auszug. „Die genannten Nationalitäten sind lediglich die Mehrheit“, so Hilgert. Das Angebot ist entsprechend vielfältig. Muss es auch sein, denn in Luxemburg geht es eben ziemlich international zu. Drei Sprachen spricht so gut wie jeder. Luxemburgisch, Französisch und Deutsch mal auf alle Fälle. Nach Schätzungen kommen zu den 630.000 Einwohnern täglich knapp 200.000 Grenzpendler in das zweitkleinste Land der EU. Die meisten Personen arbeiten im Großherzogtum Luxemburg im Dienstleistungssektor. Immerhin zahlen Luxemburger Firmen laut GfK die höchsten Gehälter in der EU. Die Kaufkraft betrug 2022 pro Kopf 37.015 Euro. Das ist mal eben gut das Doppelte der durchschnittlichen EU-Kaufkraft, wenn man den GfK-Zahlen folgt.
Luxemburg ist zwar das zweitkleinste Land in der EU, aber das am dichtesten besiedelte. Mit enormem Zuzug obendrein. Alleine zwischen 2010 bis 2020 ist die Einwohnerzahl von 507.000 auf 630.000 Einwohner angestiegen. Eine Steigerung von 25 Prozent in zehn Jahren.
Die stetig steigende Einwohnerzahl hat natürlich Auswirkungen auf den Möbelmarkt. Jean Seil ist Präsident der Luxemburger Möbelföderation Fedam. In einem Interview mit der Lokalpresse sagte der oberste Möbellobbyist des Landes vor ein paar Jahren: „In den vorigen zehn bis 15 Jahren hat der Möbelhandel in Luxemburg eine gute wirtschaftliche Entwicklung erlebt: In diesem Zeitraum sind etwa 80.000 Quadratmeter neue, zusätzliche Ausstellungsflächen aufgebaut worden und der luxemburgische Möbelmarkt hat den Arbeitnehmern logischerweise in der Folge Hunderte neue Arbeitsstellen angeboten. Diese wurden alle vollends besetzt.“ Die vielen Neubürger haben dem Möbelhandel vor Ort natürlich auch einen satten Umsatzschub beschert. In Luxemburg gibt es rund 50 Einrichtungshäuser. Knapp 20 davon sind luxemburgische Familienunternehmen. Kichechef ist eines davon, aber eben das größte.
Auch Setti Diederich ist in Capellen vor Ort und berichtet bei einem Cappuccino über den Luxemburger Möbelmarkt. Diederich ist seit über zwölf Jahren an der Seite von Familie Hilgert. Ursprünglich kommt Diederich aus dem Bankbusiness. Heute ist die Quereinsteigerin Möbel-Einkaufschefin und entsprechend viel unterwegs. Diederich und Hilgert sind im Markt bekannt. Ob in Brüssel, in Köln oder auf den diesjährigen kleineren Messen, die sich im Zuge der IMM-Verschiebung als Alternativen entwickelt haben. Die Sortimentsauswahl sei eines der wichtigsten Instrumente für Kichechef, um erfolgreich zu arbeiten, sagt die Einkaufschefin. Zusammen suchen Diederich und Hilgert nach Möbeln, die nicht überall stehen und etwas Besonderes haben. Schon Kichechef-Gründer Henri Hilgert ist einst dem VME-Verband beigetreten. Da fühlt sich auch die heutige Chefin wohl. „Dort sind wir gut aufgehoben. Aber wir besuchen ganz aktiv Messen, um ein nicht austauschbares Sortiment zusammenzustellen“, sagt Hilgert. Das Haus ist immer in Bewegung, die Inhaberfamilie bereit, sich neu zu erfinden und zu verändern. 2019 zum Beispiel verabschiedeten sie sich vom Preiseinstieg. Heute setzt man auf die mittlere bis gehobene Preisklasse.
Möbelhandel ist in Luxemburg gefragt, aber die Möbel herzustellen ist in diesem kleinen Land kein großes Thema. Ein paar Handwerksbetriebe gibt es, mehr nicht. „Wir haben viele deutsche Lieferanten“, sagt die Möbelhaus-Chefin. Wimmer, Thielemeyer, Rietberger Möbelwerke, Joop! Living, Himolla, um nur ein paar der deutschen Lieferanten zu nennen. Insgesamt, so steht’s auch auf der Website, beliefern fast 120 Hersteller das Möbelhaus. Diederich: „Besonders gut verkauft sich bei uns Himolla. Das Rebranding kommt gut an.“
Grundsätzlich stehen die Luxemburger auf Marken und Emotionen beim Möbelkauf. Auch wenn die Uhren hier natürlich anders ticken. Fedam-Chef Seil hat sich dazu mal so zitieren lassen: „In Luxemburg werden Möbel und keine Rabatte verkauft.“ Und auch Kichechef-Chefin Hilgert sagt: „Rabattschlacht in Luxemburg? Das gibt’s hier nicht.“ In der Tat, man sucht vergeblich nach Preisschildern, die dick und fett mit Signalfarbe rot durchgestrichen sind. Auch die anderen Möbelhäuser in Luxemburg würden nicht so aggressiv mit Preisen werben, wie das in Deutschland der Fall sei, sagt Diederich. Überhaupt sei Luxemburg viel zu klein für große Rabattschlachten. Und deshalb fangen sie hier auch gar nicht erst an damit. Hilgert sagt es so: „Wir wollen ja keinen Schritt zurückgehen. Wir hatten nie Rabattschlachten. Wir wollen auch keine.“ Dies sei auch ein Grund, warum man sich bei Kichechef dazu entschlossen hat, nicht in Richtung Bundesrepublik zu werben. Hilgert: „Wir haben nach Deutschland geworben, aber die Erfahrung gemacht, dass nicht viele deutsche Kunden den Weg in unser Haus finden, und deswegen die Werbung eingestellt. In Deutschland ist es üblich, dass der Möbelhandel mit großen Rabatten wirbt, um Kunden anzuziehen. Vielleicht hat das deshalb nicht funktioniert, da wir keine Rabattwerbung machen. Wir haben einen fairen Preis für ein gutes Produkt und einen guten Service.“
In Luxemburg hingegen läuft aktuell wieder ein Kichechef-Kinospot, in dem es um Familie, Wohlfühlen und schönes Wohnen geht. Er zeigt hier die gewünschte Wirkung im Verkauf. Auch auf Werbeprospekte verzichtet Familie Hilgert seit 2019 komplett. Das A und O der Möbelfamilie ist es, nicht auswechselbar zu sein. Auch deshalb investierte man in ein hauseigenes Fotostudio. Alle Fotos, die für das Kichechef-Online-Marketing genutzt werden, knipsen sie hier selbst.
Auch wenn die Kichechef-Macher nicht nach Deutschland werben, heißt das noch lange nicht, dass es nicht andersherum oft recht zünftig zugeht. In Konz etwa, auf der deutschen Seite der Mosel, steht ein 28.000 qm großer Ableger des Begros-Filialisten Möbel Martin. 40 Prozent hier oder 75 Prozent Rabatt dort: Das waren die Angebote des Filialisten aus Saarbrücken Anfang Januar. Auf dem Weg nach Capellen waren wir kurz auf den Martin-Parkplatz in Konz eingebogen. Ein Blick auf die Nummernschilder auf dem gut gefüllten Parkplatz hatte uns da schon beeindruckt: Nicht nur Deutsche sind offenkundig empfänglich für Schnäppchen. Schätzungsweise ein Viertel der Autos hatte ein gelbes luxemburgisches Kennzeichen. Wir hatten uns dann spontan zu einer Blitzumfrage auf dem Parkplatz entschieden. Frage an einen Luxemburger: Warum kaufen Sie die Möbel nicht zu Hause? Antwort: „Weil`s hier bei Möbel Martin günstiger ist, zumindest auf mich so wirkt. Ich kaufe oft auch in Luxemburg, aber wenn ich eine günstigere Variante woanders finde, fahre ich lieber ein paar Kilometer.“ Von Deutschland nach Luxemburg passiert das sicher deutlich seltener, es sei denn, es geht ums Tanken. Kichechef-Geschäftsführerin Hilgert kann den Möbeltourismus nicht ganz nachvollziehen. Sie sagt: „Bei uns steht der gleiche UVP dran wie bei unseren deutschen Kollegen.“
Dass die Kaufkraft in Luxemburg so hoch ist, hat auch mit der gesetzlich verankerten Gehaltsanpassung zu tun. Die Löhne steigen automatisch und im Gleichschritt mit der Inflation. Um das zu messen, nutzt die Regierung einen Warenkorb von rund 8.000 Waren und Dienstleistungen. Wird eine Schwelle überschritten, so werden Löhne, Gehälter und Renten erhöht. Im laufenden Jahr ist es deswegen gut möglich, dass es zu drei Erhöhungen in zwölf Monaten kommen kann. „Das ist eine gefährliche Spirale“, sagt Hilgert. Die Kostenstruktur ist deshalb ein komplexes Dauerthema. Familie Hilgert beschäftigt immerhin knapp 244 Mitarbeiter. Da müssen jeden Monat viele Möbel verkauft werden, um die Gehälter zahlen zu können.
Aber es gibt ja ein paar verkaufsfördernde Aktionen, auf die Verlass ist. Um den Verkauf von Möbeln anzuregen, veranstaltet der Möbelverband Fedam jährlich zwei Möbelfestivals. Eins im Frühjahr und eins im Herbst. Und dann geht es immer ordentlich ab. In den teilnehmenden Möbelhäusern ist gut was los. Auch die ausländischen Ketten sind eingeladen, an den Festivals teilzunehmen. In Luxemburggibt es zum Beispiel gleich drei Roller-Filialen, also haben die XXXL-Macher auch hier schon einen Fuß in der Tür. Sie würden auch, wie man hört, gerne noch größer einsteigen im Großherzogtum. Fedam-Chef Seil beklagt in der Lokalpresse, dass die großen ausländischen Ketten nicht am Möbelfestival teilnehmen. Und während der Festivals gibt es dann sogar im eigentlich rabattarmen Luxemburg Aktionen und Angebote: und auch mal 15 bis 20 Prozent bei Kichechef.
Mitarbeiter wie Geschäftsleitung ziehen beim Möbelfestival an einem Strang – bei Musik und gutem Essen. Die Stimmung während des Festivals sei immer gut. Nicht nur bei Kichechef. Nur die Automobilbranche veranstaltet etwas Vergleichbares. Für die Beschäftigten heißt das Festival aber auch: Sonntagsarbeit. Doch hier gibt es andere Regelungen als in Deutschland. Familie Hilgert könnte, wenn sie es denn für nötig hielte, jeden Sonntag die Türen aufschließen. Von Regierungsseite gibt es nur die Vorgabe, dass die Sonntagsarbeitszeit eines Mitarbeiters nicht mehr als vier Stunden betragen darf. Kichechef öffnet das Geschäft an neun Sonntagen im Jahr. Vier davon fallen auf die Festivals. „Momentan denken wir darüber nach, an weniger Sonntagen zu öffnen. Wir machen dadurch nicht zwingend weniger Umsatz. Dieser verteilt sich dann eben nur anders“, sagt Hilgert. Aber auf der Suche nach Anreizen für die eigene Belegschaft steht auch die so häufige Sonntagsöffnung zur Disposition. Der Fachkräftemangel ist längst auch in Luxemburg angekommen. „Die Leute stehen nicht Schlange. Unsere Philosophie: Wir bilden viele junge Leute aus. Und wir investieren nachhaltig in die Zufriedenheit unserer Leute.“ Dabei geht`s den Luxemburgern offenbar eh schon recht gut. Im letzten World-Happiness-Report landeten die Luxemburger auf dem sechsten Platz.
Mireille Hilgert ist es sehr wichtig, dass ihre Leute zufrieden sind. Es käme auch nicht nur auf den Verdienst an, um an neue Mitarbeiter zu kommen. „Es geht darum, sich gut zu fühlen, und um die Wertschöpfung jedes Einzelnen. Jeder möchte einen Fußabdruck in dieser Welt hinterlassen“, sagt sie. Bei Kichechef finden Angestellte Ruheräume, ein im Haus angesiedeltes Fitnessstudio zur freien Nutzung, ein Solarium und eine Bibliothek. Seit knapp anderthalb Jahren können alle Homies (so heißen Kichechef-Beschäftigte), die an Persönlichkeitsentwicklung interessiert sind, an dem Programm „Rise up and Shine Experience“ teilnehmen. Ohne zusätzliche Kosten. Das alles zahlt sich laut Hilgert aus. Nur wenige Mitarbeiter verlassen das Unternehmen, sagt sie.