Pilot im Wald
Regionale FSC-Partnerschaften gestartet
„Alle ziehen und zerren am Wald“, sagt Axel Henke. Die einen möchten sein Holz für die Möbelproduktion verwerten, andere suchen nach Nachschub für die in den letzten Jahren angestiegene Nachfrage nach Pellets für die Heizung. Dazu soll der Wald als Speicher dienen – und so wird er in der nationalen CO2-Statistik auch genutzt. Henke, Diplom-Forstwirt und Leiter des Forstamts Boppard, hat zu einigen der Nutzungsarten so seine Meinung: „Brennholz ist das neue Klopapier“, sagt er in Anspielung auf den Run aufs Toilettenpapier während der ersten Pandemie-Welle. Anfang der letzten Woche hat Henke noch Zeit für unser Interview. Danach ist er verplant und muss sich mit seinen Kollegen um Wichtigeres kümmern. „Die Waldbrandgefahr ist sehr groß. Wir müssen uns darauf vorbereiten. Auch wenn wir fast 80 Prozent Laubwald hier bewirtschaften, der weniger brennbar ist.“ Jedenfalls ein wichtiges Thema gerade. Außerdem möchte ein Fernsehsender berichten und hat sich schon angekündigt. Auch andere Medien fragen aktuell häufiger an. Hat aber dann nichts mit Waldbrand und Co. zu tun – in Boppard hat gerade erst ein Pilotprojekt gestartet, das bald zahlreiche Nachahmer finden soll.
Roller ist erster Sponsor
Womit können Waldbesitzer Geld verdienen? Flächen können verpachtet werden, etwa für die Jagd, vielleicht auch für das ein oder andere Windrad. Ansonsten bleibt: Verkauf von Holz. Seit Kurzem gibt es eine dritte Erlösquelle: das nachhaltige Sponsoring regionaler Wälder. Anders als bei gut gemeinten Pflanzaktionen fürs Marketing soll der Besitzer für die Ökosystemleistungen (ÖSD) seines Waldes entlohnt werden. Klingt abstrakt, bis man bei aktuellen Temperaturen von mehr als 35 Grad Celsius und trockenen Böden merkt, wie wichtig Wälder für Grund- und Trinkwasser sind – nur einer der vielen Aspekte. So geht es jetzt der FSC an. Die erste Firma, die eine der neuen Waldpartnerschaften abgeschlossen hat, ist ausgerechnet der Discounter Roller, seit November 2020, wie wir wissen, zur Hälfte im Lutz-Kosmos angekommen (INSIDE 1102). Und als erster Waldbesitzer Deutschlands hat die Stadt Boppard in Rheinland-Pfalz das neue FSC-Zertifikat für den Erhalt von Wald-Ökosystemleistungen erhalten. Das Pilotprojekt startete im März, etwa zwei Jahre Vorbereitung hatte es gegeben, die Stiftung Natur- und Umwelt Rheinland-Pfalz förderte das Projekt. Mit zunächst 50.000 Euro, insgesamt etwa 200.000 Euro beteiligt sich Roller nun als erster Firmenpartner eines deutschen Waldes nach dem neuen Label. Wie man beim FSC hört, ist die Nachfrage nach solchen Kooperationen größer geworden. Und Forstamtschef Henke bekräftigt, dass in seinem Wald und den zahlreichen anderen Wäldern die Unterstützer aus der Wirtschaft hochwillkommen sind: „Wir suchen weitere Waldpartner.“
Das Geld ist nicht schlecht angelegt, so scheint‘s. Denn der Sponsor kann eine absolut glaubhafte Partnerschaft und ein ernstes Engagement vorweisen. Zum offiziellen Start sagte Roller-Geschäftsführer Dr. Michael Heller, früher lange bei Otto und dort, was das Thema Nachhaltigkeit angeht, geprägt, das zur neuen Waldpartnerschaft: „Der Klimawandel ist da und wir müssen gemeinsam etwas tun, um auch den zukünftigen Generationen das Leben in einer gesunden Umwelt zu ermöglichen.“ Man sei stolz, als erstes Unternehmen eine FSC-Waldpartnerschaft einzugehen. Insgesamt 1.500 Tonnen CO2 werden während der Projektlaufzeit zusätzlich in dem Wald gespeichert. Der Wald wird unter anderem durch Wiederbewaldung gegen die Folgen des Klimawandels stabilisiert. Außerdem gleicht Roller durch die Unterstützung finanzielle Verluste aus, die durch die Ausweisung von Naturwaldentwicklungsflächen entstehen können. In diesen Wäldern ruht die Holznutzung, so dass sich dort Wildnis und der Urwald von morgen entwickeln können.
Rund 50 Mitarbeiter sind für das Forstamt tätig. Boppard ist mit etwa 3.000 Hektar der zweitgrößte kommunale Waldbesitzer in Rheinland-Pfalz. Ein großes Gebiet, in dem es viel zu tun gibt – und in dem auch künftig weitere Sponsoren ihren Platz finden könnten. Denn Henke und seine Kollegen haben in den letzten Jahren zahlreiche negative Veränderungen in der Natur feststellen können. Deshalb wird natürlich auch überlegt, wie der Wald am besten wieder aufgeforstet werden kann. Mit ein paar Douglasien, die rasch wachsen, sei es aber nicht getan, sagt Henke. „Ein Kollege von mir hat im Herbst 12.000 Douglasien gepflanzt. 80 Prozent der Bäumchen haben nicht überlebt. Die Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg (FVA) in Freiburg hat das untersucht. Der Grund: Im März war es bereits sehr warm, nachts aber kalt. Die Douglasien haben also mit der Photosynthese begonnen, konnten aus dem Boden aber kein Wasser ziehen. Phänomene wie dieses gab es bislang nicht.“
Etwa 25 Prozent der Grundwasserspeicher in Rheinland-Pfalz wurden in den vergangenen 20 Jahren nicht wieder aufgefüllt, weiß Henke zu berichten. Die Wasser-Rückgewinnung habe deutlich gelitten. Wassermangel, Brandgefahren, Austrocknung von Böden, Schädlingsbefall: „Es gibt große Unsicherheiten im Wald“, so Henke. „Schon die Klimaprognose ist schwierig. Sie reicht – je nach Szenario – von 2 bis 5 Grad Erhöhung bis zum Jahr 2100. Wir Förster müssen aber für die kommenden 100 Jahre planen. Also jetzt wissen, was wächst in 100 Jahren. Auch wie die Ökosysteme auf die Klimaveränderung reagieren, können wir nicht sagen. Aber die genetische Anpassung bei Bäumen braucht in der Regel Jahrzehnte.“