„Produktion im Kriegszustand“
Die Auswirkungen des Krieges (Teil 4): Trendteam-Geschäftsführer Ralf Müller im INSIDE
Im INSIDE 1132 haben wir die Auswirkungen des Krieges auf den Möbelmarkt beschrieben. Seitdem haben wir im INSIDE verschiedene Debattenbeitrage dazu veröffentlicht. Im INSIDE 1133 meldete sich Elmar Duffner, Präsident des Verbands der Deutschen Möbelindustrie (VDM) und Vivonio-Geschäftsführer (nachzulesen online an dieser Stelle).
Gestern haben wir die Reihe mit dem Gastbeitrag von Mokebo-Geschäftsführer Philip Kehela fortgesetzt, der im INSIDE 1134 erschienen ist (online hier nachzulesen). Heute erscheint der ebenfalls in der Nr. 1134 publizierte Beitrag von Trendteam-Geschäftsführer Ralf Müller.
Die Ukraine befindet sich mitten in einem aufgezwungenen Krieg, der das Alltagsleben lähmt. Dennoch tun die Einwohner mit vereinten Kräften alles dafür, um die Wirtschaft ihrer bedrohten Nation aufrechtzuerhalten, was wir als Möbel-Importeur, der schon seit 2016 eng und erfolgreich mit der Ukraine zusammenarbeitet, sehr deutlich spüren.
Von Ralf Müller
Unsere zehn Lieferanten produzieren und liefern nach wie vor. Das ist allerdings nur deshalb möglich, weil unsere Partnerbetriebe in der Westukraine angesiedelt sind, wo die Lage bis dato noch vergleichsweise stabil ist. Denn auf das ganze Land bezogen sieht die Situation anders – und zwar dramatisch schlechter aus: Die Möbelexporte, die aus der Ukraine über die polnische Grenze nach Westeuropa kommen, sind insgesamt um 40 bis 50 Prozent eingebrochen.
Die Lieferungen, die über die Exporthäfen in Mariupol oder Odessa nicht mehr versendet werden können, sind dabei noch nicht einmal einberechnet. Denn die Russen haben die Häfen am Schwarzen Meer und am Asowschen Meer blockiert, über die fast 70 Prozent der gesamten Exportgüter verschifft wurden – darunter elementare Güter wie Stahl und vor allem Getreide. Das hat bekanntermaßen bereits zu einem deutlichen Anstieg der Weltmarktpreise geführt.
Die aktuelle Industrieproduktion lässt sich nur indirekt messen: Der Stromverbrauch ist nach
Kriegsbeginn fast um die Hälfte eingebrochen. Dies deutet darauf hin, dass die meisten Industrieanlagen und andere Unternehmen nicht in Betrieb sind. Der Internationale Währungsfonds schätzt, dass das BIP der Ukraine um 10 Prozent schrumpfen wird, sollte der Konflikt bald enden. Wenn der Krieg länger anhält, könnte die Rezession sogar zwischen 25 und 30 Prozent liegen.
Dass unsere Partner westlich des Flusses Djnepr liegen, ist kein Zufall. Denn diese Betriebe
haben sich vertrieblich klar in Richtung Europa orientiert. Die Produzenten im Osten haben
dagegen auch andere Weltregionen ins Visier genommen. Sie können unter den aktuellen
Bedingungen nicht mehr produzieren. Und zwar aus gleich mehreren Gründen. Die Lieferketten östlich des Djnepr sind abgerissen. Arbeitskräfte sind in sicherere Regionen geflohen oder haben das Land verlassen. Die Menschen, die dortgeblieben sind, verlassen ihre Häuser nicht nur wegen der nächtlichen Ausgangssperren nicht, sondern sie bleiben aus Angst vor Bombenangriffen zu Hause oder harren in Schutzräumen aus. Besonders bitter: Wegen der akuten Kriegslage im Osten des Landes sind viele Aufträge storniert worden, weil die Abnehmer kein Risiko eingehen möchten.
Für Trendteam gilt in Bezug auf das Auftragsvolumen das Gegenteil, allerdings haben wir auch keinen einzigen Lieferanten im Osten des Landes: Auf ausdrücklichen Wunsch unserer Industriepartner haben wir unsere Bestellungen aufrechterhalten und sogar noch zusätzliche Order platziert. Einerseits weil wir Solidarität demonstrieren wollen, andererseits weil wir von der Leistungsfähigkeit unserer ukrainischen Partner überzeugt sind. Deshalb haben wir vorsorglich sogar zusätzlichen Lagerplatz in unserem polnischen Zentrallager angemietet und sind heute zu fast 100 Prozent lieferfähig. Durch die zusätzlichen Bestellungen und Lieferungen können wir diesen Status hoffentlich auch für die kommenden Monate absichern, sofern sich die Lage nicht verschlechtert.
In Bezug auf die Arbeitskräfte ist der Westen erneut im Vorteil: Schätzungsweise 3 Mio ukrainische Flüchtlinge sind ins Ausland geflohen. Die Zahl der Binnenvertriebenen ist nicht bekannt, aber Schätzungen belaufen sich auf mehrere Millionen – allein 2 Mio Menschen haben Kiew verlassen, und mehr als 600.000 Charkiw. Der Aderlass ist im Osten und dem Westen des Landes also sehr unterschiedlich.
Zudem versucht die ukrainische Regierung mit einer Reduzierung der Mehrwertsteuer, die Wirtschaft – insbesondere die exportabhängige Industrie – anzukurbeln. Ein fixer Umrechnungskurs von Euro in ukrainische Hrywen wirkt ebenfalls stabilisierend. Ebenfalls positiv für die Lage in der Westukraine wirkt sich die laufende Produktion von Kronospan aus. Der Spanplattenhersteller liefert weiter an die örtlichen Werke, lediglich der Bezug von FSC-zertifizierten Spanplatten ist zunehmend limitiert. Insgesamt ist es aufgrund der beschriebenen Situation bei unseren Partnern somit aber nicht zum befürchteten Produktionseinbruch gekommen und wir können weiterhin eine achtwöchige Lieferzeit für Möbel made in Ukraine ermöglichen.
Allerdings ist der weitere Verlauf des Krieges unberechenbar. Das zeigt sich jetzt schon daran, dass wir Warenkontrolleure aus den Werken abziehen mussten. Sie prüfen die Ware nun mit dem Eingang im Zentrallager in Polen. Lediglich ein Notdienst ist in der Ukraine noch vor Ort, um insbesondere neue Ware zu kontrollieren. Aber selbst das gestaltet sich zunehmend schwierig, weil das Benzin in dem Kriegsland sanktioniert und die Mobilität somit stark eingeschränkt wird. Der Hintergrund ist besorgniserregend: Etwa zwei Drittel der Benzin- und Dieselimporte stammten aus Weißrussland und Russland; diese Lieferungen sind derzeit gestoppt.
Da nicht abzusehen ist, ob sich die Prozesse wie beschrieben aufrechterhalten lassen, werden wir deshalb zukünftig neben der Ukraine und dem Hauptlieferland Polen noch weitere internationale Bezugsquellen erschließen (müssen).