„Krisenstimmung im Online-Handel“
Die Auswirkungen des Krieges (Teil 3): Mokebo-Gründer Philip Kehela im INSIDE
Im INSIDE 1132 haben wir die Auswirkungen des Krieges auf den Möbelmarkt beschrieben. Seitdem haben wir im INSIDE verschiedene Debattenbeitrage dazu veröffentlicht. Im INSIDE 1133 meldete sich Elmar Duffner, Präsident des Verbands der Deutschen Möbelindustrie (VDM) und Vivonio-Geschäftsführer (nachzulesen online an dieser Stelle).
Heute setzen wir die Reihe mit dem Gastbeitrag von Philip Kehela fort, der im INSIDE 1134 erschienen ist.
Seit über einem Monat hält der Krieg in der Ukraine schon an und die Auswirkungen des Konfliktes sind bereits jetzt deutlich für den E-Commerce spürbar.
Von Philip Kehela
Laut einer aktuellen Umfrage des Bundesverbands E-Commerce und Versandhandel (BEVH) sehen sich 61,8 Prozent der Unternehmen mit massiv steigenden Energiepreisen und 53 Prozent mit erheblich steigenden Einkaufspreisen konfrontiert. Zudem gibt ein Drittel der Befragten an, dass ihnen Abnehmer und Aufträge wegen Lieferkettenproblemen wegbrechen. Diese Zahlen spiegeln die aktuelle Krisenstimmung im E-Commerce gut wider – und doch sind sie nur Teil eines großen Ganzen: Denn die gegenwärtige Situation wird durch eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst, die jetzt alle aufeinandertreffen, sich gegenseitig verstärken und eine Einschätzung der Entwicklung von Nachfragekurve und der Umsatzlage vehement erschweren.
Die Verkaufspreise steigen bereits seit Pandemiebeginn im Frühjahr 2020 aufgrund von Preiserhöhungen aus Herstellung und Logistik stetig an und werden aktuell durch kriegsbedingte Lieferengpässe und infolge der durch die Russland-Abhängigkeit gestiegenen Energiekosten weiter in die Höhe getrieben. In den letzten zwei Jahren sind die Verkaufspreise bei meinem Start-up Mokebo teilweise um bis zu 30 Prozent angestiegen – nicht aus dem Willen einer Margensteigerung, sondern durch die Weitergabe von immer wiederkehrenden Preiserhöhungen. Dieser Trend hat sich in den letzten drei Monaten weiter beschleunigt und wird sicher noch bis in den Spätsommer wirken.
Parallel zu den Preiserhöhungen wird das Geld der Konsumenten durch die Rekord-Inflation von inzwischen 7 Prozent (März) immer mehr entwertet. Dies führt zu einer Komprimierung der Nachfrage auf bestehende Topseller-Produkte und die wenigen Angebote, die (noch) alte, niedrige Preislagen halten können. Produkte in Preiseinstiegslage können in den kommenden Wochen jedoch schnell ihre Daseinsberechtigung verlieren, wenn diese vorwiegend durch Niedrigpreise, aber entsprechend begrenzte Qualität bedingt war und eben diese Preise nicht länger haltbar sind.
Durch die Preiserhöhung droht zudem das Risiko einer Leistungsinflation: Die Verkaufspreise, die im E-Commerce auf Marktplätzen zwangsläufig den Versandpreis inkludieren müssen, um Kunden das Gefühl von kostenlosem Versand zu geben, sind inzwischen teilweise teurer als das tatsächliche Wertversprechen des Produkts. Möchte man die kompetitiven Preise seiner Produkte halten, muss man entweder Margenverluste in Kauf nehmen oder versuchen, diese innerhalb der Supply Chain auszubalancieren. Ist dies nicht möglich, muss das Auslisten eines möglichen Schnelldreher-Produktes in Betracht gezogen werden.
Unter diesen Marktgegebenheiten neue und erfolgreiche Produkte zu launchen, ist eine große Herausforderung. Meiner Meinung nach müssen Händler und Lieferanten deshalb sehr früh in der Produktentwicklung Expertise und Kräfte bündeln und sich auf den Produkt-Markt-Fit neuer Produkte fokussieren. So kann bestimmt werden, welcher Verkaufspreis für welches Produkt ein relevantes Angebot am Markt darstellt. Dies erfordert, wie bereits Elmar Duffner in INSIDE 1133 herausgestellt hat, eine wahrscheinlich noch nie dagewesene Kooperationstiefe zwischen allen Marktteilnehmern und einen klaren Blick auf die gemeinsamen Stärken. Für Mokebo als eigenfinanziertes Start-up wird eine gemeinschaftliche Risikoverteilung durch eine initiale Warenbevorratung auf der einen und dem Marketing zum Produkt-Ramp auf der anderen Seite wichtiger denn je.
Trotz aller Aufwendungen bleibt die Ungewissheit, ob und wie schnell sich die oben geschilderten Entwicklungen wieder regulieren oder sich möglicherweise noch verstärken werden. Die Einschätzung der Umsatz- und Potenzialentwicklung ist im Möbel-E-Commerce von großer Bedeutung – allein schon aufgrund der geringen Wertdichte der Produkte. Prognosen sind jedoch im Augenblick nahezu unmöglich, da die Situation sowie Angebot und Nachfrage so dynamisch sind.
Auch ein Vergleich mit 2021 hinkt, da Begebenheiten wie harte Lockdowns, der Cocooning-Trend und die Schließung von Möbelhäusern einen extrem positiven Effekt auf den Home-&-Living-E-Commerce-Markt hatten. Das kann man zum Beispiel auch an den Peaks der Aktienkurse von Home24 oder Westwing sehen. Im Verlauf von 2021 und mit Ende der dritten Coronawelle kam es bereits zur ersten Verlangsamung, zum Ende des Jahres durch die Berichterstattung über hohe Inflation und anhaltende Lieferengpässe setzte sich das fort. Die massiv positiven Effekte des Vorjahres werden 2022 durch sehr schlechte Effekte überschattet.
Was also tun? Für mich lautet die Antwort ganz klar: Sich auf das fokussieren, was ich mit meinem Team direkt beeinflussen kann. Das sind für Mokebo der enge Austausch mit unseren Produzenten, eine kosteneffiziente Arbeitsweise und clevere Entscheidungen auf Basis des konstanten Monitorings unserer Unternehmensdaten. Zudem sollten jederzeit auch bereits getroffene Entscheidungen neu bewertet oder hinterfragt werden. So verkaufen wir beispielsweise wieder Möbel auf dem Ebay-Marktplatz, obwohl wir uns in der Vergangenheit dort zurückgezogen hatten.
Wie sich die Situation weiter entwickelt, bleibt unklar. Ich hoffe, dass es zu einer Verlangsamung der vielen externen Effekte der letzten Monate kommt und sich wieder ein „Normalniveau” einpendelt, so dass zumindest eine Einschätzung der Nachfrage- und Potenzialentwicklung wieder möglich wird.