Ein bisschen wie die Küchen
Zur Lage im Polstermarkt: Eine Fahrt von Taufkirchen nach Nagold
Man muss nicht die Verbandszahlen als Beleg nehmen, denn man hört es auch so überall. Dennoch, die 14 Prozent Plus im ersten Halbjahr, die Cor-Inhaber Leo Lübke als Vorsitzender des Verbands der Deutschen Polstermöbelindustrie im September durchgab, waren schon auch eine erstaunliche Zahl.
Man kann aber auch nur auf seine eigene Feldforschung zur Lage bei den Polsterern vertrauen. Rolf Benz: 2020 fast 8 Prozent Plus, 2021 schon wieder dick zweistellig in AE und Umsatz über Vorjahr. Himolla: 2020 hoch einstellig im Plus, 2021 im Export dick zweistellig und im Inland immer noch gut zweistellig im Plus. Nach einem Hausmesse-Trip durch den Süden, von Taufkirchen nach Nagold, muss man sich schon etwas die Augen reiben. War da mal was? Hieß es wirklich vor noch nicht allzu langer Zeit, in Deutschland könne man keine Sofas mehr bauen, weil Sofa-Bauen im Gegensatz zur in der Regel automobilmäßig automatisierten Küchenproduktion viel zu handwerklich sei? Himolla hat immerhin noch 1.000 der insgesamt 3.000 eigenen Mitarbeiter inklusive Großpolsterei in Taufkirchen – und in den vergangenen Jahren mit Ralph Bestgen an der Spitze und Tamara Härty als Chefkreative einen Turnaround hingelegt, der einen staunen lässt. Rolf Benz und Cor machen auch die Gestelle noch selbst – und wachsen und wachsen. Rolf-Benz-Chef Jürgen Mauß sagt es so: „Das ganze Gerede, auch nach der Übernahme, es ist Geschichte. Der Standort Deutschland ist eines unserer größten Assets, die vollstufige Produktion ist unser Pfund in Zeiten der angespannten Lieferketten. Die Karten im Markt werden neu gemischt. Wir rüsten uns.“
Oben wie unten: Premiumanbieter wie Cor (INSIDE 1120) oder Bielefelder Werkstätten (INSIDE 1121) liegen dick im Plus, die Oberfranken-Fraktion hat schon mal deutlich mehr gejammert und sich in Teilen sogar richtig erfolgreich über alle Untergangsprognosen hinweggesetzt. Kleine Manufakturen wie Signet brummen, große Flaggschiffe mit Osteuropa-Produktion wie Ada, 3C oder Polipol mit seinen 7.500 Mitarbeitern kämpfen ebenfalls deutlich mehr mit Material und Preisen als mit fehlenden Aufträgen. Für die Nummer 2 im Polstermarkt, Cotta (mit Steinpol), sprach Patrick Poltera in seinem 7.000 qm großen und recht vollgestellten neuen Showroom in Herford fürs laufende Jahr von einem zweistelligen Plus. 15 Werke, 5.500 Mitarbeiter, rund 450 Mio Euro Umsatz: Wer kauft das alles, was hier überall an den Laderampen der Werke ausgestoßen wird? Von Preiseinstieg bis Premium: Neue Sofas und Sessel braucht das Land ohne Ende, so scheint‘s. Und der Export läuft noch hochtouriger.
Auf den vergangenen Herbstmessen ist es einem mal wieder bewusst geworden. Es sind nicht nur die Küchen, die sich immer breiter machen, vorstoßen ins Bad, ins Homeoffice oder es mit Garderoben und immer öfter auch ganz normalen Wohnmöbeln versuchen. Die Polsterer tun das auf ihre Art genauso: Polipol hat Hukla nun nach Jahren des Markenaufbaus wieder um Matratzen erweitert – und will unter dem Hukla-Dach bald auch Betten bringen. Willi Schillig macht nach Dining und Objekt jetzt auch Outdoor. Koinor nach Startschwierigkeiten nun auch schon lange Dining, was die Modellistik angeht sogar als Trendsetter, auch wenn das Stammgeschäft nach der Rainer-Thiele-Offensive schon mal dynamischer lief. Ponsel startet gerade „auf Ponsel-Art“ ebenfalls ins Dining. Jürgen Kleinegesse macht das neue Candy Sleep mit eigenem Vertrieb (Brian Heule) und Konzeptgedanken dahinter. Erpo stand jetzt mit einer neuen Bettenkollektion im Informa-Zentrum. Die Bielefelder Werkstätten bauen jetzt auch Betten und machen sich nach und nach zum Kompletteinrichter. Rolf Benz zeigte auf der Hausmesse nicht nur die neue Outdoor-Kollektion, auch Dining wird auf dem Weg zum Kompletteinrichter in Nagold wieder mehr gepflegt.
Gibt es bald auch Himolla-Betten? Bestgen und Härty schütteln synchron und energisch den Kopf. „Wir haben genug zu tun“, sagt Bestgen. Besuch auf der Himolla-Hausmesse in Taufkirchen. Es war viel los hier. Himolla wird wieder gesucht. Sogar so, dass die harten Preisverhandlungen mittlerweile hier nicht mehr das entscheidende Thema sind. Hört man sogar im Handel. Ein Local-Hero aus dem Handel: „Himolla setzt wieder Trends, geht voran.“
Bestgen, Härty und Team haben in drei Jahren den Tanker gedreht. Seit zwei Jahren wächst Himolla wieder. Die Modelle, die seit drei Jahren auf den Markt gekommen sind, sind heute die Hauptumsatzträger. Modelle wie Planopoly Motion 4.0 werden rauf und runter kopiert, auch von einem großen Marktbegleiter. Durchschnittlich im zweistelligen Prozentbereich konnte der Himolla-Bon nach oben getrieben werden in drei Jahren. „Immer mit einer Gegenleistung, mit gutem Design oder innovativen neuen Funktionen“, sagt Härty. Rund 100 Kollegen hat Härty in ihrem Team an der Seite, 30 im Marketing, 70 in der Entwicklung. Zusammen machen sie im Jahr rund 100 neue Modelle, haben vor einem Jahr das Marketing komplett umgestellt, die Fotografie, alles. Zur Messe wurde trotzdem alles fertig, auch wenn der große Hacker-Angriff im Frühsommer, der Himolla viele Millionen kostet, auch die Marketingabteilung für Wochen quasi lahmgelegt hat. „Wir hatten sechs Wochen keine Bilder“, sagt Härty. In der Produktion war tagelang nix zu machen. Bestgen: „Wir nutzen diesen GAU nun, um unsere komplette IT-Infrastruktur auf den neuesten Stand zu bringen.“ Auch in der Produktion weht ein neuer Wind. Plattform-Strategie statt Teile-Wahnsinn: Die neue auf der Messe vorgestellte Spektra-Kollektion soll – konzipiert auf Plattform-Basis – mittelfristig den Umsatzbringer Planopoly komplett ersetzen.
In diesem Herbst sind nun weitere Stellplätze im Handel dazugekommen. Mit den moderneren Modellen ist Himolla lange nicht mehr nur die Rentner-Marke. „Wir mussten erstmal die Zielgruppe 50plus zurückerobern“, sagt Bestgen. „Heute spielen wir aber auch bei kaufkräftigen 40-Jährigen eine Rolle.“ Nach der Neuausrichtung der Marke im Handel, mit neuen Studios, wird bald auch Endkundenwerbung kommen. Haben sie bei Himolla noch nie gemacht.
Weiter geht’s nach Nagold. Mauß und sein Team haben alle Hände voll zu tun. Die Fabrik ist voll ausgelastet. Das Reporting nach China läuft seit Januar 2020 rein digital, aber intensiv. Im Frühjahr wurde die neue Outdoor-Kollektion Suezkanal-bedingt (ein Bauteil für die Gestelle steckte fest) ein paar Wochen später auf den Markt gebracht. Ein komplett neuer Markenauftritt wurde konzipiert, die dazugehörige Markenkampagne ist gerade auch über DACH hinaus angelaufen. Rolf Benz ist in Bewegung. Natürlich auch im Digitalen. Die Webseiten werden mit 3D-Konfiguratoren aufgerüstet. Die Freistil-Kollektion ist schon komplett eingegliedert; die Rolf-Benz-Möbel werden es gerade nach und nach. Bald kann der Kunde sich sein Sofa über die komplette Kollektion (Hülsta Sofa mal außen vor) konfigurieren und dann über den nahegelegenen Handelspartner beziehen. Apropos Handelspartner. Auch da ist der Umbau nach dem harten Schnitt im Vertrieb vor drei Jahren nicht abgeschlossen. Mauß sagt es so: „Wir brauchen in Deutschland keine 300 Händler mehr. Planung und Beratung sind das Thema. Wir verstehen uns als Einrichtungsmarke und haben ein erklärungsbedürftiges Produkt.“
Aktuell zählt man in Deutschland noch knapp 200 Rolf-Benz-Händler. Aber es werden weiter: weniger. Mauß: „Wir brauchen Partner im Handel, die unser Konzept verstehen und es so am POS umsetzen, die auch die Verkäufer dafür haben.“ Von der Größe des Hauses sei es erstmal unabhängig. Es gibt nach wie vor große Rolf-Benz-Händler wie Schaffrath und Segmüller und zahlreiche kleinere. Das soll weiter so bleiben, auch wenn die Strategie beinhaltet, dass in den Metropolen Monobrand-Stores über die Stilwerk-Dependancen hinaus verstärkt kommen. In Hamburg in den Stadthöfen wird Alexander Raab jetzt eröffnen. Mauß: „Das Ziel ist ganz klar: ein weiteres und deutliches Trading-up der Marke.“
Durch den schärferen digitalen Fokus und die neue Analysetools wissen sie in Nagold: „Die Marke Rolf Benz ist viel jünger, als wir uns selbst gemacht haben.“ Auf dem Weg zum Kompletteinrichter (mit Partnern wie Schönbuch für die Kastenmöbel) ist das eine wichtige Erkenntnis.