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Rehau-Chef Dr. Thomas Tröger im INSIDE-Interview

„Wir dürfen nicht allen Märkten eine globale Lösung überstülpen“

22.05.2025 | 15:03
Dr. Thomas Tröger

Im ersten Interview nach dem Wechsel an der Spitze von Rehau Interior Solutions spricht CEO Dr. Thomas Tröger unter anderem über die Bedeutung lokaler Unterschiede für ein global aktives Unternehmen. Ein INSIDE-Besuch im Rheniumhaus in Rehau.

INSIDE: Herr Tröger, Sie sind seit 1. Januar 2025 „der Neue“ an der Spitze von Rehau Interior Solutions. Starten Sie doch bitte mit ein paar persönlichen Worten zum Kennenlernen!

Dr. Thomas Tröger: Mittlerweile arbeite ich seit 18 Jahren für Rehau. Meine komplette berufliche Laufbahn habe ich in Amerika verbracht, wo ich zunächst studiert habe, bevor ich von einem Recruiter zu Rehau geholt wurde. Das Unternehmen kannte ich vorher nicht, obwohl ich in Erlangen aufgewachsen bin. Bei Rehau Americas habe ich in Marketing, Produktmanagement und Vertrieb gearbeitet, größtenteils in der Möbelsparte, also Interior Solutions. In den letzten fünf Jahren war ich CEO dann für Rehau Americas – über alle Sparten.

Ihrer neuen Position ist eine Neuorganisation der gesamten Rehau-Gruppe vorangegangen.

Wie auch viele andere Unternehmen sind wir immer im Wandel. Aus der regionalen Struktur, die wir vorher hatten, ist nun eine divisionsspezifische Managementstruktur geworden. Interior Solutions umfasst das weltweite Geschäft in fünf Regionen, nun eben fokussiert auf einen Teilbereich.

Für einen Teilbereich, die Division Interior Solutions, sind Sie der CEO. Ihren Sitz haben Sie nach wie vor in den USA?

Genau. Ich steuere den Teilkonzern aus den USA heraus, da meine Familie noch dort lebt. Ich verbringe aber auch viel Zeit in Indien, in China, in Europa und in Südamerika. Eigentlich bin ich immer dort, wo ich gebraucht werde.

Welche Bedeutung hat denn Amerika für das Gesamtgeschäft in Ihrer Division?

Zahlen darf ich nicht nennen, aber ich kann Ihnen sagen, dass EMEA etwa die Hälfte vom Geschäft ausmacht. Die anderen Märkte haben etwa eine Gleichgewichtung. Wir sind nicht ausschließlich auf den europäischen Markt angewiesen und wachsen in einigen Märkten nach wie vor.

Welche Produkte fallen in Ihren Verantwortungsbereich?

Die größte Bedeutung hat klar die Kante, und zwar in allen Märkten. Kanten sind ein global eingesetztes Produkt. Wir verkaufen Kanten heutzutage in über 60 Länder. Sie sind das Kernprodukt für Rehau und über viele Jahre das erste Produkt, um neue Märkte anzugehen. Zusätzlich zu diesem Kerngeschäft produzieren und vermarkten wir seit über zehn Jahren auch Oberflächen, die sich ebenfalls sehr gut entwickelt haben. Dann gibt es noch den kleineren Bereich „Systems“. Darunter fallen zum Beispiel Schrankrollladen oder Wandanschlussprofile bzw. Sockelleisten.

Was bedeutet die Neuorganisation von Rehau in der Praxis? Sind Sie jetzt schneller und näher an der Kundschaft?

Das war in der Tat die Idee dahinter. Prinzipiell hatte Rehau immer schon Sparten. Als familiengeführtes Unternehmen gab es noch die Klammer über die gesamte Gruppe und eine Management-Ebene. Unter Industries waren alle Baudivisionen und unser Bereich zusammengefasst. Wir haben aber gemerkt, dass dadurch Schnelligkeit verlorenging. Nun haben wir ein Level rausgenommen. Für unser Geschäft ändert sich nichts fundamental, wir können aber in Zukunft schneller entscheiden.

Bürokratieabbau wird ja allgemein viel gefordert. In welchen Bereichen spüren Sie bei Rehau außerdem, dass sich etwas ändern muss? Wo ändert sich auch tatsächlich etwas? Man spricht ja häufig von Zeitenwende heutzutage.

Das Wort Zeitenwende beinhaltet immer eine Endlichkeit – etwas beginnt, wendet sich und alles hat wieder ein Ende. Ich sehe das persönlich etwas anders. Als globaler Player sind wir in verschiedenen Märkten immer in unterschiedlichen Businesszyklen. Manche Märkte wachsen momentan, andere schrumpfen oder stagnieren. Es gibt einen permanenten Wandel. Wir sind in Europa auf das eine Thema fokussiert, haben es in China mit einer Immobilienkrise zu tun, in den USA mit einer neuen Regierung und potenziellen Zöllen. Andere Herausforderungen gibt es wiederum in Indien, wo wir auch lokal produzieren.

Zurzeit kommen schon viele große Themen zusammen, von Klima über Digitalisierung bis zu populistischen Strömungen und autokratischen Regierungen in verschiedenen Ländern, und das in einer zunehmenden Geschwindigkeit.

Covid hat viel Disruption mit sich gebracht, auch weltpolitisch ändert sich gerade viel, ja. Die Powerzentren balancieren sich neu aus. Aber unser Job ist es, das Geschäft so zu managen, uns so zu positionieren, dass wir nach wie vor profitabel arbeiten. Wir müssen schauen, was wir beeinflussen können, dass wir für unsere Kunden Werte schaffen, dass wir auch liefern, was wir versprechen, dass wir aktive Partner sind. Und natürlich, dass wir unsere Programme auf die lokalen Anforderungen der Kunden abstimmen.

Wie unterscheiden sich die Anforderungen?

Recycling zum Beispiel und Nachhaltigkeit sind Thema in Europa und in manchen anderen Ländern überhaupt nicht.

Von welchen Märkten lernt Europa? Und was kann man von Europa lernen? 

Bei Kanten sind in Europa mittlerweile ABS und Polypropylen Standard. Hier ist man weg von PVC. Große Teile der Welt sind aber immer noch PVC-Märkte. Bei den eingesetzten Rohstoffen geht es in Europa ganz klar in Richtung Nachhaltigkeit. Die Anforderungen sind hoch. Nicht führend ist Europa allerdings bei Speed Service. Bei hoher Nachfrage können die Lieferzeiten stellenweise acht bis zwölf Wochen betragen.

Wie kommt das?

Große Kunden aus der Industrie können solche langen Lieferzeiten managen. In Indien, Südamerika oder Zentralamerika beispielsweise, wo die Kundschaft nicht so industriell geprägt ist, braucht es einfach kürzere Lieferzeiten von ein bis zwei Wochen. Unternehmen in der Größenordnung deutscher Küchenhersteller gibt es außerhalb Europas nur in China. Für kleine Unternehmen müssen wir oft die Ineffizienz ihrer Planung durch schnelle Lieferung ausgleichen. Next-day-delivery ist in Europa, vor allem in der Industrie, deshalb bislang nicht nötig gewesen, weil die Kundschaft im Vergleich extrem gut organisiert ist. Hier werden wir uns aber auch anpassen müssen, wenn mit den Projekten auch Sonderanfertigungen und Sonderfarben zunehmen. Dafür bedarf es einer anderen Lieferkette und viel schnellerer Zulieferungen. Der Trend geht zu Customization. Unsere Kunden sind nur dann erfolgreich, wenn wir hier auch mitziehen können.

Ist in diesen Zeiten besonders viel Innovation gefragt? Oder lieber weniger, weil man vorsichtiger ist?

Wenn es nach unserer Produktion ginge, würde man einen Gang rausnehmen, um die Variantenvielfalt zu reduzieren. Aber die Realität ist natürlich, dass alle versuchen, mit neuen Produkten zu punkten. Das ist ein weltweiter Trend. Die Produktzyklen werden immer kürzer, um über neue Farben oder Haptiken einen Kaufimpuls zu generieren. Von unseren Kunden ist noch niemand auf die Bremse gestiegen. Wenn die Abverkäufe bei der Taktung aber nicht richtig laufen, kommen die Produkte im Zweifel gar nicht bei den Kunden an.

Welches waren denn bei Rehau die großen Innovationen in der jüngeren Vergangenheit? 

Natürlich war die große Innovation damals die Laserkante, die Nullfugentechnologie. Hier haben wir auch weiterentwickelt, beispielsweise bei der Feuchtebeständigkeit. Auch an Oberflächen haben wir viel gearbeitet, bis hin zur Eigenlackierung, und an der Abstimmung zwischen unseren Programmen – beispielsweise Oberfläche, Kantenband und Rolladensystem. Wir haben auch neue Produkte wie das Kantenband Raukantex pigmento, das auch im Fasenbereich Haptiken und Optiken von Echtholz, Stein oder Keramik nachbildet, so dass es diesen Rahmeneffekt nicht mehr gibt.

Seit wann ist diese Kante am Markt?

In Stein- und Keramikoptik seit etwa eineinhalb Jahren, in Holzoptik ganz neu.

Vermutlich wird das Produkt dann auch auf der Interzum groß gespielt, oder?

Dort geht es in zwei Richtungen. Die Pigmento-Kante in Holzoptik ist wirklich neu und geht ein Problem an, das seit 40 Jahren im Markt besteht: Dass es immer einen Streifen gab, der nicht passend eingefärbt war, der sogenannte Rahmeneffekt. Neuheiten haben wir auch im Bereich Digitaldruck, sowohl in Bezug auf Glanzgrade als auch auf die Haptik. Mehr wollen wir aber erst auf der Interzum verraten. Nur so viel: Das wird uns wieder als klarer Marktführer darstellen. Und natürlich bringen wir auch neue Oberflächenfarben.

Welches sind die Materialien der Zukunft?

Die Diskussionen treibt weiterhin das Thema Nachhaltigkeit an. Daran arbeiten wir auch viel. Raukantex eco hat im Grundmaterial PP schon einen sehr hohen Rezyklatanteil. Dieser Prozess hat aber erst begonnen, und die Anfragen nehmen zu. Klingt einfach, ist aber komplex. Zum einen müssen wir die Qualität halten und die Rohstoffversorgung sichern. Zum anderen kostet es mehr Geld, die Rezyklate sind zum Teil teurer als neues Material. Wir starten in Europa, auch wegen Regularien. Ganz vorn ist Skandinavien.

Wie realistisch ist es denn, dass Ihre Produkte bald auch recycelt werden können?

Mit unseren Produkten, speziell mit der Kante, sind wir nur ein ganz kleiner Teil des Gesamten. Wird ein Tisch recycelt, stammt nur ein Bruchteil des Materials von uns. Die Kante vom Tisch zu lösen, ist ökonomisch fast unmöglich. Aber natürlich führen wir intern Produktionsreste wieder in die Verwendung zurück. Hier ist das Ziel auf null Abfall zu kommen.

Welche Investitionen hat Rehau kürzlich abgeschlossen?

Bei Rehau haben wir eine interne Wachstumsstrategie. Mit wenigen Ausnahmen haben wir das Wachstum der letzten 40 Jahre durch den Aufbau neuer Märkte erzielt, während Marktbegleiter über Akquisitionen gewachsen sind. Ein Beispiel aus den letzten Jahren: In Visbek, in Norddeutschland, haben wir in ein großes automatisiertes Hochregallager investiert. Von dort können wir Kanten, die sich im Standardlager befinden, noch am selben Tag raus­schicken. Erst im letzten Jahr wurde dort nochmal ausgebaut. In Mexiko wurde Mitte 2023 ein neues Werk in Betrieb genommen, das den gesamten nordamerikanischen Markt beliefert. Wir haben in Südamerika, im Werk Sao Paulo/Brasilien, expandiert, und wir haben in Indien eine kleinere Kantenbandfirma gekauft. Wir haben überall auf der Welt Investitionen getätigt. Wir investieren dort, wo Wachstum stattfindet. Nord- und Südamerika und Indien, das sind für uns Wachstumsmärkte.

Noch eine Frage, die wir seit dem letzten Sommer oft gestellt haben: Ihr Rezept für die neue Zeit?

Das eine Rezept haben wir nicht. Wir haben in wachsenden Märkten ein anderes Playbook als in stagnierenden oder rückläufigen Märkten. In den einen geht es um Investitionen, in den anderen um Cash-Management, um Farb-Management, um Lager-Management. Wir sind zwar ein globaler Player, dürfen aber nicht allen Märkten eine globale Lösung überstülpen. 

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