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Mediastrategien für 2025

Es geht um Erregung

05.10.2024 | 12:46
"Mr. Media" Thomas Koch

Kommunikation ist eine der größten Herausforderungen der Marketing-Zukunft. Was Werbungtreibende und Agenturen von ihren Kampagnen erwarten, grenzt ­allerdings an Magie. Dieser eine Kontakt mit der Kampagnen-Botschaft soll die ­Aufmerksamkeit der Zielpersonen erregen und im Idealfall eine Aktion auslösen. Das erwarten sie ernsthaft, obwohl sie nur eine von 10.000 Botschaften erzeugen, die jeden Tag um unsere Aufmerksamkeit kämpfen. Reichweite ist wichtiger als Kontakte: So bauen Sie Ihre Media­strategie für 2025. 

Von „Mr. Media“ Thomas Koch

Es geht tatsächlich um Erregung. Man muss sich das vorstellen wie bei den Spermien. Jeder Schuss enthält 100 bis 500 Millionen Spermien, doch nur eins kommt ans Ziel und „aktiviert“. Es hat auch viel mit der Funktionsweise unseres Gehirns zu tun, das bekanntlich im Reptilienzeitalter stehengeblieben ist. Es stellt bei jeder Botschaft, jedem Signal und jedem Ereignis die stets gleichen drei Fragen: Ist es gefährlich? Kann ich es essen? Und: Kann ich Sex damit haben?

Werbespots für Joghurt und Schokoriegel beantworten zumindest die zweite Frage. Ansonsten tun sich die Werber unendlich schwer, mit ihren Werbebotschaften durchzudringen. Das erklärt, warum 89 Prozent aller Kampagnen so gut wie keine Wirkung erzeugen. Man möchte ebenso wenig zu den 7 Prozent gehören, deren Werbung negativ in Erinnerung bleibt. Nur 4 Prozent werden offenbar positiv erinnert. Das ist nicht viel.

An Magie grenzt auch das Senden der richtigen Botschaft an die richtige Zielgruppe im richtigen Augenblick. Ziel dieses Beitrags ist, einen oder mehrere Wege zu finden, wie man zu den wenigen Kampagnen zählt, die wirklich wirken. Quasi einen Fahrplan durch die spannende Welt der Medien zu liefern.

Es sind vier Faktoren, die für einen überdurchschnittlichen Kampagnenerfolg verantwortlich sind: 1. Eine neue Erkenntnis über die Zielgruppe, die man selbst oder Wettbewerber zuvor nicht besaßen. 2. Erlebbare Veränderungen am Media-Mix (Überraschung), die Kampagne und Absender klar differenzieren. 3. Eine erkennbar aus dem Marketingziel abgeleitete, einzigartige Mediastrategie. 4. Eine enge konzeptionelle Zusammenarbeit zwischen Kreation und Media.

Kreation und Media – wie Pech und Schwefel

Beginnen wir gleich beim letzten Punkt. Die Entscheidung, welche Medien zum Einsatz kommen, und die Entwicklung der Werbung selbst laufen fast immer unabhängig voneinander. Das ist grundverkehrt. Diskutieren beide Disziplinen und treffen ihre Entscheidungen gemeinsam, inspirieren sie sich gegenseitig und laufen zur Höchstform auf. Eine solche Exzellenz schafft keiner alleine. Auf einmal entstehen neue Kontaktpunkte für die Kampagne und die Botschaften passen zum Medium, seinem Umfeld und der Situation, in der die Botschaft auf ihre Zielgruppe trifft.

Wenn man die Erkenntnis hat, dass Möbelkaufentscheidungen meist am Wochenende getroffen werden, kommt man vielleicht auf die Idee, nicht wie alle Wettbewerber zum Wochenende zu werben, sondern montags mit der Botschaft im Radio oder morgens mit digitalen Plakaten am Bahnhof: „Am Wochenende nicht über die neue Schlafzimmerlampe entschieden? Wir haben Ideen, die Sie inspirieren werden.“

Erkenntnisse sind bei der Findung einer überlegenen Mediastrategie unerlässlich. Idealerweise eine neue Erkenntnis, die der Wettbewerb nicht hat und die man mit einer Kampagne neu ausrollen kann. Wenn es überwiegend Frauen sind, die in einer Beziehung den Möbelkauf initiieren, sind sie als Zielgruppe natürlich wichtiger als die männlichen Mitentscheider.

Will man Frauen von einem neuen Möbelstück überzeugen, wirbt man auf Digital-out-of-Home-Plakaten in der Shopping Mall, wo Frauen gemeinsam mit Freundinnen bereits in Kauflaune sind. Hier trifft die Botschaft im richtigen Augenblick auf aufnahmebereite Zielpersonen, was natürlich die Wirkung der Botschaft steigert. Oder man wirbt bei Edeka. Oder im Fernsehen im Umfeld von Sendungen wie „Sex and the City“. Früher war TV nationalen Werbekunden vorbehalten, dank CTV (Connected TV) kann man Online-TV lokal in passenden Zielgruppenumfeldern buchen.

Erkenntnisse sind die Quelle des Erfolgs

Erkenntnisse über die eigene Zielgruppe zu generieren ist einfacher, als man denkt. Man kann Käufer befragen, die man jeden Tag in den eigenen Filialen antrifft. („Sie treffen bestimmt Möbel-Entscheidungen gemeinsam. Reden Sie darüber am Wochenende? Und wie lange dauert es meist, bis Sie ins Möbelhaus fahren? Wer entscheidet, in welches Möbelhaus man zuerst fährt?”) Schon hat man neue Erkenntnisse über die vielgerühmte „Customer Journey“, die man werblich nutzen kann.

Oder man stellt eine These auf, die man zu verifizieren sucht. Annahme: Haushalte mit Haustieren haben eine kürzere Möbel-Lebensdauer und kaufen häufiger eine Wohnzimmercouch. Wenn das stimmt, entwickelt man eine Werbe-Aktion gemeinsam mit naheliegenden Fressnapf-Filialen: „Liebe Tierfreunde, jeder der in den nächsten sechs Wochen mit seinem Haustier zu uns kommt und eine neue Couch bestellt, bekommt einen Thomas-Staubsauger Aqua Pet & Family umsonst.“ So wird Fressnapf zu einem neuen Kontaktpunkt, zu einem Medium der Kampagne.

Das führt uns zu Retail Media, das als größter Medien-Hype der letzten Jahre gilt. Einzelhändler wie Lidl, Otto, Media-Saturn oder Obi rüsten derzeit ihre Kundendaten auf, um die eigenen Plattformen für Fremdwerbung anzubieten. Dadurch tun sich insbesondere für andere Handelsunternehmen faszinierende neue Werbemöglichkeiten auf.

Reichweite ist wichtiger als Kontakte

Schon sind wir mitten im spannenden Thema Media-Mix. Ein Mix ist erforderlich, um eine möglichst hohe Reichweite zu erzeugen. Eine hohe Reichweite, das ist eine der zentralen Erkenntnisse der jüngsten Werbewirkungsforschung, ist wichtiger als die Zahl der Kontakte.

Hohe Reichweiten erzeugen seit jeher die Tages- und Wochenzeitungen, auf die so lange nicht verzichtet werden sollte, solange sie Reichweiten jenseits von 50 bis 70 Prozent erzeugen. Zum Vergleich: Online-Werbung schafft infolge der hohen Zahl an installierten Adblockern meist nur 30 bis 35 Prozent, mithin nur die Hälfte der Reichweite. Sinn machen bei Zeitungswerbung jedoch Einschränkungen des Verbreitungsgebiets und mögliche Zielgruppenschwerpunkte wie Einkommensstrukturen.

Search ist eine Investition, die uns erhalten bleiben wird. Dagegen sind kontinuierliche Steigerungen des Social-Media-Budgets oft nicht mit Wirkungs- und Umsatzsteigerungen verbunden. Ein reichweitenstarkes Medium wie Radio muss nicht ausschließlich eingesetzt werden, um mit Wettbewerbern Rabattkriege zu führen. Wenn Ihre Erkenntnis sagt, dass Familien deshalb zu Ikea fahren, weil es dort Hotdogs für zwei Euro gibt, bieten Sie Ihre „echte“ Bratwurst an einem Samstag umsonst an. Oder Sie erzählen im Radio die Geschichte der Würste, Bratwürste und Hotdogs – und dass es bei Ihnen außerdem aufgebaute Möbel für junge und ältere Familien gibt.

Botschaften in Medien, die Aufmerksamkeit ­erzeugen

Auf der Suche nach Reichweite stolpert man unweigerlich über DOOH, digitale Plakatflächen an Dutzenden neuer Touchpoints. Das junge Medium wird häufig von Wettbewerbern übersehen, erreicht jedoch seine Zielgruppen in Situationen, die die Relevanz der Botschaft steigern.

Am Flughafen im Abfluggate verspricht die Botschaft „Ist der Herd wirklich aus? Mit einer modernen Küche von . . . reisen sie gelassener“ hohe Aufmerksamkeit. Die Personalsuche auf DOOH bei Edeka erzeugt eine hohe Reichweite (alle müssen irgendwann einkaufen), überrascht und vermittelt mehr als nur den Eindruck eines großartigen Arbeitgebers.

Da unser Gehirn stark auf Veränderungen reagiert, macht es viel Sinn, den Media-Mix immer wieder zu variieren. Positive Überraschungen, die zum Absender und der Strategie passen, wirken Wunder. Ihre neue Mediastrategie ist der Weg zum Ziel. Ihre neuen Erkenntnisse führen zu einem individuellen und einzigartigen Einsatz der Medien. Ihr Media-Mix erweitert sich und steigert die Reichweite Ihrer Kampagne. Dieser Weg ist nicht teurer als der zuvor, sondern hilft oft zur Vermeidung unwirksamer Kontakte.

Ihre Botschaften passen sich den Medien an und den Menschen und ihren Situationen, in denen sie sich gerade befinden. Für den Erfolg einer Kampagne sind entscheidend die Reichweite – und dass Botschaft und Medium situativ zusammenpassen. Die genannten Beispiele mögen Ihr Team und Ihre Kreativität inspirieren.

Wer das umsetzt, enteilt der Konkurrenz. 80 Prozent der Entscheider sind träge und ignorieren, dass nur 20 Prozent aller Kampagnen 80 Prozent der möglichen Wirkung entwickeln. Pareto lässt grüßen. Mit Ihrer neuen Mediastrategie sind Sie herzlich willkommen im Kreis der erfolgsverwöhnten 20 Prozent.

 

Über den Autor Thomas Koch („Mr. Media“) ist 72 Jahre alt und seit 52 Jahren im Media-Business. Vierzehn Jahre verbrachte der Mediaplaner zunächst in namhaften Werbeagenturen, u.a. als Media-Chef bei GGK in Düsseldorf und Ted Bates Worldwide in Frankfurt. 1987 machte er sich in Düsseldorf mit thomas­kochmedia (tkm) selbständig. tkm wird zur größten unabhängigen Media­agentur Deutschlands.

2002 fusioniert Koch seine Agentur mit Starcom, wird CEO von tkmStarcom und somit der siebtgrößten Media­agentur Deutschlands. 2007 stieg er aus und 2008 in die Geschäftsleitung der unabhängigen Mediaagentur Crossmedia ein. 2010 ist er Mitgründer von Plural Media Services in Berlin und coacht in Krisengebieten junge, regierungsunabhängige Medien. Von 2011 an berät er mit seiner Beratungsfirma tk-one Unternehmen, Medienhäuser und Agenturen. 2017 gründet er zusätzlich The DOOH Consultancy als erste Beratungsagentur für Digital-out-of-Home.

Thomas Koch ist regelmäßiger Kolumnist für Wirtschaftswoche, Absatzwirtschaft, Meedia und W&V. Er ist Autor der Bücher „Werbung nervt!“, „The Media Business For Pioneers“, „Die Zielgruppe sind auch nur Menschen“ und „Media leicht gemacht“. 

Capital bezeichnete Thomas Koch 1995 als „profiliertesten Vordenker der deutschen Werbung“. 2004 nahm ihn Media & Marketing Europe in die Galerie der 15 Personen auf, die die europäische Werbebranche am meisten bewegten – zusammen mit Maurice Levy, Rupert Murdoch und Sir Martin Sorrell. 2008 wurde er im Rahmen des Deutschen Mediapreises zur Mediapersönlichkeit des Jahres gewählt. 2011 erhielt Koch für sein Engagement in Krisengebieten von der Jury des Signs­Awardsdie Auszeichnung als „Zeichensetzer“. 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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