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Digitalisierung in der Möbelbranche (4)

Live-Video-Shopping – Gekommen, um zu bleiben

18.03.2021 | 10:18

Im INSIDE 1102 haben wir die Serie "Digitalisierung in der Möbelbranche" gestartet, die in loser Folge erscheint. Im vierten Teil der Serie stellt Gastautor Marco Burkhardtsmayer Live-Video-Shopping vor, mit dem auch der Möbelhandel inzwischen gute Erfolge erzielt.

 

Marco Burkhardtsmayer steht auf Hamburg, Hightech und Handel. Den ersten Job in einem Ladenlokal hatte er im Alter von 15. Vor gut zehn Jahren gründete Burkhardtsmayer mit Philip Mitov die Muse Content GmbH, die beide als Geschäftsführer leiten. Die „Mjus“ gesprochene Firmenbezeichnung spielt auf das englische Wort für Muse an und ist zugleich das Kürzel für „Multi-sensorischer Wahnsinn“. Die kleine Firma ist sowohl technischer Dienstleister für moderne AV-Medien wie digitale Kreativagentur und Retail-Design-Spezialist und wurde unter anderem mit Digital-Signage-Projekten groß. Obwohl eher Boutique als Konzern hat Muse von Beginn an international gearbeitet. Der 39-Jährige und sein Team sind dabei (zuver-)lässig unterwegs. Dass er Diplom-Betriebswirt ist, liest er ungerne. Kaufangebote großer Wettbewerber landeten bislang immer in der Ablage P. Wer nicht auf der Kundenliste landen möchte, sollte HSV-Fan sein. Innerhalb der Firma wurde die Marke MuseLive gegründet, in der die Live-Shopping-Aktivitäten gebündelt sind (www.muse-live.stream und www.muse-content.com).

 

Gekommen, um zu bleiben

 

Live-Video-Shopping ist ein E-Commerce-Trend, der die Möbelbranche erreicht hat. Warum das so ist, wie sich Live-Shopping im Netz von ähnlichen TV-Angeboten unterscheidet und welche Branchengrößen bereits mitmischen, erklärt unser Gastautor Marco Burkhardtsmayer, der unsere Serie „Digitalisierung in der Möbelbranche“ fortsetzt.

 

Von Marco Burkhardtsmayer

 

Ist das gute alte Teleshopping zurück – bloß in neuem Gewand? Diese Frage wird mir oft gestellt. Und tatsächlich ertappe auch ich mich manchmal dabei, diesen Vergleich zu ziehen. Dabei ist die Grundidee zwar die gleiche, doch der Nutzen ungleich höher, die Umsetzung anders. Und: Das genutzte Medium, das (mobile) Internet, funktioniert anders.

 

Vor bereits eineinhalb Jahren haben wir uns bei Muse Content vorsichtig an das Thema herangetastet. Das Pandemie-Jahr 2020 wirkte dann wie ein Katalysator für Live-Video-Shopping. Mittlerweile beschäftigen sich bei uns mehr als zehn Personen tagtäglich mit dem Thema, Tendenz steigend. Inzwischen haben wir dazu auch die Marke Muse Live geschaffen.

 

Live-Video-Shopping – auch: Live-Shopping – ist die Kombination aus einer Live-Übertragung von Bewegtbild und einem Onlineshop. Diese Shows werden zumeist an wiederkehrenden Wochentagen und zur gleichen Zeit ausgestrahlt. Sie unterscheiden sich vom aus dem Fernsehen bekannten Teleshopping vor allem dadurch, dass sie als interaktive Shows mit den Kunden angelegt sind. Internet-Community und Marken interagieren hier also. Diese Interaktion findet über einen Chat statt, in dem jeder Kunde direkt Fragen und Anmerkungen posten kann. Diese werden von den Moderatoren aufgenommen und aktiv in die Show eingebracht.

 

Hierfür bieten sich Live-Shopping-Apps an, die es ermöglichen, die Shows oder Events direkt auf der eigenen Website wiederzugeben. Manche Unternehmen nutzen dazu auch eigens aufgesetzte Webseiten. Die direkte Wiedergabe auf der eigenen Homepage hat Vorteile gegenüber klassischen Social-Media-Kanälen wie Facebook, Instagram und Youtube, etwa eine deutlich größere Gestaltungsfreiheit für die Inhalte. Auch die Verweildauer bei diesen Streams liegt dann deutlich höher: Sie steigt im Vergleich von etwa einer Minute auf bis zu 20 Minuten an. Die Show wird also als Event wahrgenommen und es wird nicht nur einfach mit dem Finger auf dem Smartphone reingeswiped und zum nächsten Angebot weiter gewischt.

 

In China werden im Jahr 2021 etwa 20 Prozent der Gesamtumsätze im E-Commerce in Live-Streams umgesetzt

 

Während der Show werden innerhalb der App alle Produkte der Show angezeigt. Sie sind durch One-Click direkt und schnell zu kaufen. Durch diese Impulskäufe liegt die Konversionsrate im Schnitt bei etwa 10 Prozent und ist so um ein Vielfaches höher als im normalen Onlineshop. Einige Firstmover aus der Möbelbranche haben sich bereits des Themas angenommen: Otto.de hat einen Stream mit der Möbelkollektion von Guido Maria Kretschmer getestet, Tchibo hat jüngst neue Badmöbel vorgestellt und startet noch im März mit dem Live-Verkauf von Gartenmöbeln (siehe Kasten "Sendepause für Influencer" unten). Das ist kein kurzfristiger Trend: Live-Video-Shopping ist gekommen, um zu bleiben. Das zeigt ein Blick in andere Regionen der Welt. In China werden im Jahr 2021 etwa 20 Prozent der Gesamtumsätze im E-Commerce in Live-Streams umgesetzt. Ja, richtig gelesen. Die Konzepte aus China finden hierzulande allerdings keine Eins-zu-eins-Anwendung, dies liegt vor allem am Branding-Anspruch der Unternehmen und Kunden. Das oft zitierte Ringlicht mit einem Mobiltelefon und einem Event auf Instagram ist kein adäquates Set-up für einen europäischen Live-Stream, in dem man Möbel absetzen möchte. Diese Art der Shows wird hauptsächlich im Beauty- und Lifestyle-Umfeld eingesetzt.

 

Ein Stream aus dem eigenen Geschäft

 

Der Aufwand ist deutlich geringer als etwa für eine TV-Produktion. Um mit einem Live-Stream zu starten, benötigt man ein kleines agiles Team, das sich um das Konzept sowie die Software, Produktion und Analyse kümmert. Technisch ist das kein Hexenwerk: Kamera, Ton und Licht sind schnell aufgebaut. Weiterer Vorteil, gerade für kleinere Unternehmen: Das Budget ist überschaubar. Die Geräte etwa werden im Normalfall gemietet. Gerade um Details und Stoffe an Möbeln zu zeigen, ist gute Technik essenziell. Set und Location – also Drehort und Kulissen – sollten authentisch sein. Also: kein großes Studio, kein Dreh in der Karibik. Neben den offensichtlichen finanziellen Vorteilen kommt ein weiterer Vorzug gerade für den stationären Handel ins Spiel: Ein Stream aus dem eigenen Geschäft weckt das Interesse der Kunden am Ladenlokal. So wird die Frequenz am Point of Sale erhöht. Das ist aber kein Muss: Manchmal werden auch Locations wie Lofts oder Showküchen für die Präsentation genutzt. Wichtig ist – unabhängig vom Produktions- und Drehort –, immer wieder neue optische Perspektiven und Winkel zu finden, um eine Abwechslung für den Kunden zu bieten.

 

Letztlich moderiert immer ein Gastgeber, der Host. Als Host für die Show empfehlen wir immer, die eigenen Mitarbeitenden des Unternehmens zu nehmen. Nicht, um Kosten für Moderatoren zu sparen. Die Verbundenheit mit dem eigenen Unternehmen und dessen Produkten macht die Shows authentisch, die Marke oder Firma persönlich nahbar. Mitarbeitende übernehmen unserer Erfahrung nach gerne den Job des Hosts oder Co-Hosts. Dazu reicht zumeist eine kurze Einführung. Zusätzlich unterstützen die Moderatoren mit Tipps und Tricks und natürlich tollen Accessoires den Abverkauf der Produkte. Grundsätzlich ist alles, was am Set steht, kaufbar. Selbst wenn nicht dezidiert oder gar marktschreierisch darauf eingegangen wird. Hier gilt: Mut zur Lücke, die Kunden wissen sowieso, was sie wollen. Beispiel aus dem Bereich Bekleidung: Am Tag, nachdem eine international bekannte Marke für Lingerie ein Live-Video-Shopping ausgestrahlt hatte, stand eine Kundin in deren Züricher Flagshipstore und wollte selbstverständlich das komplette Outfit der Moderatorin kaufen.

 

Welches Drehbuch soll es sein? Innerhalb des Streams sind Ideen und Konzepten keine Grenzen gesetzt. Denn es wird nicht fürs Fernsehen, sondern fürs Internet produziert. Hierbei kann man als Marke auch gerne einmal seinen „Wohlfühl-Bereich“ etwas dehnen und strecken: Die neue Garten-Kollektion von Tchibo etwa wurde am 10.3. im Beachclub Strand Pauli in Szene gesetzt, direkt an den Landungsbrücken in Hamburg. Dies lädt die Marke zusätzlich auf und schafft auch bei der Kundschaft eine Verbundenheit zum Firmenstandort.

 

Auch die Länge eines Streams variiert stark, von Kunde zu Kunde oder von Show zu Show. Im Durchschnitt dauern Live-Video-Shopping-Events zwischen 25 und 35 Minuten. Diese Länge wird von den meisten Endkunden als angenehm empfunden. Allerdings sollte man nicht den Fehler begehen und eine Eintagsfliege produzieren: Als Rhythmus empfehlen wir ein Live-Stream mindestens alle zwei Wochen.

 

In den kommenden Wochen werden unterschiedlichste Kunden aus Möbelindustrie und -handel mit ihren ersten neuen Konzepten an den Start gehen. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir bis Ende 2021 weitere Shows aus diesem Segment sehen werden. Der Erfolg der Firstmover gibt dem Konzept Live-Stream-Shopping recht. Das haben durchaus auch einige Wettbewerber auf dem Schirm.

 

Sendepause für Influencer

 

Anfang Dezember legen Gina und Kollegin Anna los. Thema: „Kaffee in Perfektion“, schließlich sind wir bei „Tchibo Live“. So schildert es der zum Maxingvest-Konzern gehörende Kaffeeröster in seinem Unternehmensblog, in dem über das erste Live-Video-Shopping des Konzerns berichtet wird. Bekanntlich setzen die Hamburger längst auch mit anderen Warengruppen große Summen um und sind einer der großen Konsumgüter-Einzelhändler hierzulande. 

 

Das 1949 von Max Herz gegründete Unternehmen setzte im 70. Jahr des Bestehens 3,12 Mrd Euro um, 71 Prozent davon in Deutschland. Im Geschäftsjahr 2019 lag der Überschuss bei 134 Mio Euro, 54 Mio Euro mehr als in der Vorjahresperiode. Im Jahr 2018 wurden auf www.tchibo.de 450 Mio Euro umgesetzt. Aktuell gehört die Webseite zu den Top 20 der umsatzstärksten Onlineshops hierzulande. Auch im Jahr 2021 ist Tchibo mit Live-Shopping präsent: Bis Anfang März wurden drei Folgen des neuen Formats ausgestrahlt. Gedreht wird im Hochkant-Format – bekanntlich surfen viele heute mobil. In der Kalenderwoche 9 wurden auf der "Live"-Website von Tchibo Badmöbel an den Mann und die Frau gebracht, am 24.3. geht Tchibo mit Gartenmöbeln in die Offensive. 

 

Übrigens: Social-Media-Influencer haben in dem neuen Format nichts zu melden, sondern Sendepause.

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