Umbruch in Freudenberg
Zur Lage bei Rauch
Ein Spanplattenwerk, drei Möbelwerke, 1.600 Mitarbeiter, eine Menge Probleme und bald eine neue Führung: Zur Lage bei Rauch in Freudenberg.
23 Jahre ist Michael Stiehl in Freudenberg für den Möbelhersteller Rauch im Dienst. Im August wird Stiehl 64 Jahre alt. Stiehl hat in seiner Zeit beim Schlafzimmerspezialisten, an dem er 6 Prozent der Anteile hält, viele im Markt kommen und gehen sehen. Viele Wettbewerber aus Deutschland im mittlerweile sehr ausgedünnten Schlafzimmermarkt haben sich nicht halten können und sind in der Zeit vom Markt verschwunden. Viele neue Wettbewerber aus Osteuropa sind richtig groß geworden. Und mit Bega in Lügde haben Stiehl und Team in den vergangenen Jahren im Preiseinstieg einen so hartnäckigen Konkurrenten bekommen, den man seinem ärgsten Feind nicht wünscht. Rauch hat sich über viele Jahre mit Hochs und Tiefs in diesem megakomplexen Wettbewerbsumfeld wacker geschlagen.
Stiehl, der lange zusammen mit dem im Juni 2020 verstorbenen Beirat Wendelin Rauch über Bande gespielt hat, stand immer auf der Brücke, hat gerne branchenfremde Kollegen ins Team geholt. Ja, und jetzt? Jetzt ist am Ende seiner Karriere nochmal richtig Feuer drin. Unmittelbar nach der neu konzipierten Hausmesse — die Furniture Days sollen künftig einmal jährlich im Frühjahr die Sortimentsneuheiten präsentieren – mussten die beiden erst vor Kurzem geholten Rauch-Geschäftsführer Jochen Arndt (CCO) und Andreas Gerecke (COO) ihren Hut nehmen. Nicht der erste Wechsel in den letzten Jahren. Und Stiehl, der eigentlich im Sommer abtreten wollte (INSIDE 1135), musste für beide Posten wieder einspringen.
Arndt, vor Rauch bei Pepsi und Beiersdorf, hatte es geschafft, sich in wenigen Monaten in Freudenberg ziemlich unbeliebt zu machen bei wichtigen Großkunden. Zuletzt angeblich auch auf der Hausmesse. Und Gerecke, davor u.a. bei Fischer Automotive, war offenkundig auch nicht der richtige Mann für den Posten. Woran lag‘s? Stiehl sagt es so: „Wir leben in einer schwierigen Zeit. Corona und die Auswirkungen des Krieges wirken wie ein Brennglas und legen Schwachstellen offen. Wir haben gemerkt, dass wir die falschen Leute für diese herausfordernden Zeiten an der Spitze hatten.“
Das ging Stiehl und seinem recht heterogen bestückten Beirat zuletzt öfter so. Offenbar will man daraus – auch auf sanften Druck des neuen Beiratschefs Arndt Geiwitz hin – nun seine Lehren ziehen. Branchenleute für die zwei Posten in der Geschäftsführung wurden nun gesucht. Gefunden hat man einen erfahrenen Restrukturierer, bei dem allerdings, wie man hört, nun doch nicht allzu viel Möbelblut durch die Adern fließen soll, und einen Vertriebsprofi mitten aus dem Markt. Namen sind noch keine durchgesickert. Und Stiehl hält sich in der Frage auch bedeckt. Auch was seine eigenen Pläne angeht, antwortet Stiehl diplomatisch. „Ich bin flexibel“, sagt er auf die Frage, ob er sich diesen Sommer wie geplant zurückziehe. Ob das schon Anfang Juli sein wird, wie man hört, ist nicht verifiziert. Stiehl: „Sie können sich sicher sein, dass ich den Übergang bestens begleiten werde. Ich übergebe, wenn das Unternehmen in einer stabilen Situation ist.“
Auf die neue Führung kommen große Aufgaben zu. Die Lage im Markt ist schwierig genug. In Freudenberg kommt dazu, dass die Restrukturierung der vergangenen Jahre, die sich nun in der neuen Bilanz auch zahlenmäßig laut Stiehl „positiv“ niederschlagen soll, nicht so dynamisch angegangen worden ist, wie das in diesen Zeiten notwendig gewesen wäre für eine so große Kastenmöbelproduktion mitten in Deutschland. Stiehl will das zwar so nicht stehen lassen und sagt, man habe einen wichtigen ersten Schritt bereits gemacht. De facto wird die neue Führung aber das Restrukturierungstempo erhöhen müssen. An die Werksstruktur will man aber nicht wieder ran. Drei Werke und eine Holzwerkstoffproduktion – so soll Rauch auch in Zukunft aussehen. Zu den weiteren Schritten sagt Stiehl nichts. Und einen Kahlschlag am offenkundig an manchen Stellen unrentablen Sortiment, den schließt Stiehl ebenso aus.
Der bald scheidende Rauch-Chef sagt, man müsse sich auf ein schwaches Marktumfeld im zweiten Halbjahr einstellen. Er bleibt aber grundsätzlich zuversichtlich: „In Krisenzeiten richten sich die Menschen ein.“ Die Branche habe gute Perspektiven. Aber: Die sinkende Kaufkraft in gewissen Bevölkerungsgruppen wird viele vor Probleme stellen. Hinzu kommt der Kampf mit den Rohstoffpreisen. Die Industrie brauche mehr Konsequenz bei der Weitergabe, so Stiehl. Die Kunden im Handel werden hier aufmerksam mitlesen, denn dort hat Stiehl zuletzt vor allem mit seinem Auftritt auf einer Onlineveranstaltung des Kooperationsnetzwerks Möbelindustrie im vergangenen Sommer Unmut auf sich gezogen. War das ein Fehler? Stiehl: „Nein, wir müssen die Probleme im Markt doch benennen und über die ganze Prozesskette hinweg nach Lösungen suchen.“ Seine Anteile an Rauch will Stiehl übrigens auch nach seinem Ausscheiden behalten. Potenzial für die Zukunft sehen sie in Freudenberg an drei Stellen: Im umsatzmäßig vergleichsweise schwachen Fachhandelssortiment, beim Absatz an Online-Kunden und im Export, auf den in der letzten veröffentlichten Bilanz nur noch 35 Prozent entfielen.
Rauch in Zahlen
Das Geschäftsjahr 2019/2020 (30.6.) und das Jahr davor hatte die Rauch-Gruppe mit rund 10 Mio Euro Verlust abgeschlossen, was zu einem großen Teil auf die Restrukturierung zurückzuführen war. Für 2019/2020 waren für die „Transformation“, in deren Rahmen ein Werk geschlossen und rund 100 Arbeitsplätze abgebaut wurden, außergewöhnliche Aufwendungen von 9,7 Mio Euro angefallen; im Jahr davor sogar 17 Mio Euro. Im vierten Quartal des Geschäftsjahres 2019/2020 schlugen dann auch noch die Öffnungsverbote im Handel in Form eines Umsatzeinbruchs im stationären Handel durch. In Kürze wird der nächste Jahresabschluss veröffentlicht, die Bilanz für 2020/2021. Darin werde sich dann in Zahlen manifestieren, dass die eingeleiteten Schritte richtig waren, sagt Stiehl. Rauch habe online wieder gewonnen und das Stationärgeschäft stabilisiert. Die Zahlen seien wieder „akzeptabel“. Mit der Vergangenheit vergleichbar sind wegen der Lockdowns beide Jahre ohnehin nicht. Ist Rauch mittlerweile wieder profitabel? Stiehl: „Lassen Sie sich überraschen.“ Umsatzmäßig lag die Gruppe 2019/2020 bei 269,7 (Vorjahr: 280,3) Mio Euro, davon entfielen 225,5 (232,6) Mio Euro auf Möbel, der Rest auf Holzwerkstoffumsätze mit externen Abnehmern. Der Online-Anteil am Möbelumsatz erreichte im ersten Corona-Jahr 25 Prozent. Nach der Schließung von Werk 1 in der Innenstadt von Freudenberg, wo zuvor die inzwischen verteilte Fertigung der Fachhandelsschiene Dialog stattfand, betreibt Rauch noch drei Möbelproduktionsstandorte: am Stammsitz, in Bürgstadt und in Mastershausen. Das Spanplattenwerk hat eine jährliche Kapazität von gut 500.000 cbm, knapp die Hälfte geht in die eigene Möbelproduktion.