Zum Hauptinhalt springen

 

 

 

Solidarität und Sorgen

Die Auswirkungen des Krieges auf die Branche

14.03.2022 | 10:50

Die Verbindungen der globalisierten Möbelbranche nach Osteuropa sind vielfältig. Die Auswirkungen, die der Krieg auf die Branche haben wird, auch. Eine Abschätzung des Ausmaßes ist heute kaum möglich. Möbelproduzenten, Zulieferer, aber auch Händler gehen nach den ersten Tagen bereits davon aus, dass die Folgen immens sein und viele Bereiche betreffen werden – von gekappten Lieferketten über eine Inflation in ungeahntem Ausmaß bis zum Einbruch der Verbraucherstimmung. Und auch dieses Mal, so scheint’s, trifft es die Küchen weniger schlimm als den Rest der Möbelbranche. Zumindest Stand heute.

 

Innerhalb der Branche gibt es große Betroffenheit, Hilfsbereitschaft und Solidarität. Die unzähligen Hilfsaktionen – auch ganz unmittelbare, wie die Evakuierung und Unterbringung Geflüchteter sowie die Organisation von Hilfslieferungen über osteuropäische Tochtergesellschaften von Branchenunternehmen – sprechen Bände. Ukrainische und russische Mitarbeiter werden weiterbezahlt, auch wenn das Geschäft nicht mehr läuft. Blum, das ist wirklich nur ein einziges Beispiel von vielen, hilft sogar bei der Beschaffung von Medikamenten und auch Schutzwesten. Allein mit diesen Geschichten könnten wir eine INSIDE-Ausgabe füllen. Es gibt kaum einen, der nicht hilft.

 

Auf der anderen Seite steht das Geschäft. Das bei uns in Deutschland noch ziemlich unbeeinträchtigt weiterläuft. Garant-Händler Mike Giebel von Möbel Harrmann aus Rostock: „Bei Kriegsausbruch hatte ich Bedenken, dass der Möbelmarkt jetzt zusammenbricht. Jedoch hat sich erstmal nichts geändert. Es werden ungebremst Möbel verkauft.“ Es gibt auch andere Stimmen. Connox-Boss Thilo Haas sagt: „Kaufen Sie gerade eine neue Leuchte oder ein neues Sofa? Die Anschaffungsneigung ist schon gebremst. Wir spüren das auf jeden Fall.“ Hesse- Inhaber Robert Andreas Hesse sagt: „Der Jahresstart war bombastisch, ab Mitte Februar wurde es schwierig. Nun der Krieg. Ich kann es kaum in Worte fassen, wie mich das bewegt. Wir sollten auf jeden Fall in der Möbelbranche nicht zu viel jammern jetzt. Andere haben ganz andere Sorgen und Probleme.“

 

Wie wird das alles werden? „Es ist viel zu früh, das abzuschätzen“, sagt Polipol-Chef Marc Greve. „Die Welt ist in großer Unordnung. Die Auswirkungen werden massiv sein. Doch erstmal geht es doch vordringlich um die betroffenen Menschen.“ Dennoch ist die Frage nach den Auswirkungen natürlich zulässig. Wie wird sich der Krieg auf die Konsumstimmung auswirken, wenn Menschen auch in westlichen europäischen Ländern um ihre persönliche Sicherheit fürchten und wenn die humanitäre Katastrophe durch weitere ankommende Flüchtlinge auch hierzulande richtig sichtbar wird? Ein XXXLutz-Manager sagt: „Man hat das früher als ganz normal hingenommen, dass im Grunde alles okay war. Heute müssen wir mit den Auswirkungen von Corona leben, mit Krieg, mit Inflation. Das beschäftigt auch uns sehr.“ Porta-Geschäftsführer Felix Riechmann: „Wir sind mit den aktuellen Zahlen grundsätzlich im Moment nicht unzufrieden, auch wenn wir derzeit geringere Frequenzen auf der Fläche verzeichnen. Das hat sicherlich mit der aktuellen politischen Unsicherheit zu tun und mit den daraus resultierenden enorm gestiegenen Energie- und Kraftstoffpreisen.“ Das sind die ersten Auswirkungen im Handel, der nach wie vor auch mit vielen Corona-Ausfällen zu kämpfen hat. Aufpassen muss man auch, dass durch unterschiedliche politische Haltungen keine Stimmungen aufkommen und Risse im Team entstehen, sagen einige. Es gibt hier durchaus ungute Entwicklungen.

 

„Achtung Lieferengpässe, Achtung Preiserhöhungen“

 

Im Handel tut man sich schwer, die Inflation, die sich schon in den vergangenen Monaten klar in den Möbelpreisen niedergeschlagen hat, den Endverbrauchern zu vermitteln. Daniela Rothländer von Möbel Mayer aus Kempten sagt: „Wir bekommen täglich E-Mails von Lieferanten oder vom Verband: Achtung Lieferengpässe, Achtung Lieferkettenprobleme, Achtung Preiserhöhung. Man muss sagen: Beim Privatkunden hört das Verständnis irgendwann auf. Wir können die Preise nicht immer so weitergeben, sonst habe ich keinen mehr, der etwas kauft. Wir hatten auf normales Fahrwasser gehofft und jetzt kommt das noch on top. Es wird sich Mitte des Jahres zeigen, wie wir die Kosten für unseren Fuhrpark, den Sprit, die Heizkosten und die anderen Kostentreiber in den Griff kriegen. Noch schaut es so aus, als würden wir es hinbekommen. Denn wir haben zwei super Monate hingelegt trotz wenig Frequenz im Februar.“ Das waren jetzt auch schon die optimistischeren Aussagen vom Ende der Lieferkette. Die Lieferkettenprobleme – die Prognose ist leicht – werden sich noch verschärfen. Mit der eigentlich im Jahresverlauf erhofften Entspannung ist nicht mehr zu rechnen. Auch bei zertifizierten Hölzern wird es enger werden. PEFC und FSC haben bereits Maßnahmen angekündigt.

 

Nach Angaben des Bundesverbands Güterverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) droht der Ausfall von über 100.000 ukrainischen LKW-Fahrern allein im internationalen Warenverkehr. Diese sind offenbar hauptsächlich bei polnischen und litauischen Transportunternehmen beschäftigt. 2021 hätten in 7 Prozent der in Deutschland eingesetzten LKW ukrainische Fahrer am Steuer gesessen, berichtet der Spiegel. Mehr zu den Problemen in der Logistik lesen Sie auf Seite 8. So gut wie zum Erliegen gekommen ist mit Beginn des Angriffskrieges auf die Ukraine die dortige Produktion von Möbeln und Vorprodukten. Importeure und Einkaufsorganisationen des Möbelhandels sind schon in anderen osteuropäischen Ländern unterwegs auf der Suche nach Ersatz im Preiseinstieg. Auch für Ware aus Weißrussland, weil auch hier in Kürze mit Sanktionen gerechnet wird. Möbel im Wert von jeweils gut 100 Mio Euro hat Deutschland im vergangenen Jahr aus der Ukraine und Weißrussland importiert, in erster Linie Polstermöbel und zerlegte Kastenmöbel.

 

„Wir haben alles wieder aus der Ukraine verlagert“, sagt ein großer Filialist. Fertige Produkte können etwa aus Weißrussland aber nach wie vor bezogen werden. Und es gibt auch Protagonisten, die vorhaben, das auf jeden Fall weiter zu tun. „Man muss schon unterscheiden zwischen dem System und den Menschen, die dort betroffen sind“, sagt einer. Zu den Möbelunternehmen mit Werken in der Ukraine und Weißrussland zählen u.a. auch Actona und Theca, die eigentlich auf dem Weg der Theca-Integration zur ganz großen Polsteroffensive geblasen haben. Auch der Funktionssesselanbieter Knudsen verfügt über eine Produktion im Nordwesten des Landes. Erst 2021 hatten die Dänen mit dem Bau eines zweiten Werks begonnen, einem insgesamt 10 Mio Euro schweren Investitionsvorhaben. Polipol hat den Bau des eigenen Werks in Weißrussland zurückgestellt, führt aber noch Möbel aus dem gemieteten Werk aus.

 

Auch Bega-Boss Dieter Hilpert sagte Anfang letzter Woche: „Wir haben in der letzten Woche noch 60 LKW-Ladungen aus Weißrussland rausbekommen.“ Fertige Möbel fallen aktuell Stand Mitte dieser Woche im Gegensatz zu Holz und Holzprodukten auch noch gar nicht unter die Sanktionen, die den Export aus Russland beschränken. Noch laufen auch die Zahlungen, auch wenn sie von einer „Embargo- Stelle“ überprüft werden, berichtet Hilpert. Die Einschränkungen des SWIFT-Zahlungssystems betreffen nicht alle Banken und Weißrussland zu dem Zeitpunkt noch gar nicht. Mit einem Einkaufsvolumen von 20 Prozent in den drei Ländern Weißrussland, Ukraine und Russland und natürlich Riesenvolumina im indirekt von der Lage betroffenen Polen fürchtet die Bega-Gruppe für Matratzenhüllen fanden dort statt. Die russische Produktion fertigte für Ikea und Jysk, die ihre Geschäfte dort inzwischen geschlossen haben. Geschäftsführer Frank Lindner: „Das Geschäft ist erstmal weg. Bezogen auf den Gesamtumsatz ist das aber nichts, was uns in Schieflage bringt.“ Das ukrainische Werk in Gorodok, nahe der polnischen Grenze, wird man versuchen zu halten, auch um den Mitarbeitern eine Perspektive für die Zeit nach dem Krieg zu geben, die hoffentlich kommt. Ein großes Fragezeichen sieht Lindner bei der Versorgung mit Federholzleisten für Lattenroste. Da der europäische Markt diese fast ausschließlich aus Russland und Weißrussland bezieht und sie als Holzprodukte unter die Sanktionen fallen, gleicht das einem kompletten Lieferstopp. „Die Versorgung reicht vielleicht für vier bis sechs Wochen. Alternativen sind in Europa eigentlich nicht vorhanden“, sagt Lindner. Die weitaus größere Sorge ist: „Wir müssen uns jetzt überlegen, wie wir die Kostensteigerungen dargestellt bekommen. Die Kalkulation von letzter Woche ist jetzt schon hinfällig. Eigentlich kann man gar keine Preiszusagen machen.“ So wird es in jedem Glied der Zulieferkette gehen. Wenn man das weiterdenkt, kann es eigentlich keine längerfristigen Kalkulationen und Preisvereinbarungen wie in der Vergangenheit mehr geben. An keiner Stelle der Wertschöpfungskette – auch nicht gegenüber dem Endkunden.

 

Beispiel Beschläge: Nickel, Aluminium, Stahl – all das sind Rohstoffe, bei denen es eng werden kann. Und teuer wird. Der Ausfall des ukrainischen Stahlproduzenten Metinvest aus Mariupol schlägt unmittelbar auf den Markt durch. Die Preisaufschläge, die allein in der vergangenen Woche angekündigt wurden, reichen schon jetzt an die ohnehin heftigen Ankündigungen des vergangenen Jahres heran, schildert Blum-Deutschland-Geschäftsführer André Dorner. Über die ukrainische Blum-Niederlassung läuft kein Geschäft mehr. Wie bei vielen anderen Firmen sind Mitarbeiter in Hilfsmaßnahmen involviert. Russland und Weißrussland werden von Blum nicht mehr beliefert. Letzteres liegt (noch) nicht an Sanktionen, sondern am eingeschränkten Frachtverkehr und auch an der Rubelentwertung, die zu einem Stillstand der Wirtschaft führt. Bei Währungsturbulenzen, das kennt man aus der Vergangenheit, wird das Geschäft immer mal ausgesetzt. „Russland und Weißrussland waren trotz immer wieder auftretender Turbulenzen zwei sich sehr gut entwickelnde Märkte. Das ist schon eine Zäsur“, sagt Dorner. In Russland hat Blum immerhin 60 Mitarbeiter, rund 40 in der Ukraine. In Kiew wurde gerade noch eine Messebeteiligung vorbereitet. Belarus ist für Blum der kleinste der drei Märkte. Dorner: „Es wird auch zu Verwerfungen in den angrenzenden Ländern kommen. Was die Zulieferstruktur angeht, sind wir zwar nicht unmittelbar betroffen. In der verlängerten Lieferkette aber wird man auch von Russland abhängig sein.“ So äußern sich sinngemäß auch andere Beschlaghersteller wie Kesseböhmer. Viele Vorlieferanten der Stahlindustrie sitzen in der Ukraine, in Belarus, in Russland. Und nun? Dorner: „Wir können nur auf Sicht fahren und alles tun, um die Versorgungs- und Liefersicherheit aufrechtzuerhalten.“

 

Ziemlich zurückhaltend äußern sich aktuell große Unternehmen, die im Krisengebiet produzieren. Es sind eher abgestimmte Statements, die man auf Nachfrage erhält. Verständlicherweise, denn es gilt den Spagat zu finden zwischen der Verantwortung für die eigenen Mitarbeiter, die ohne Frage jedes Unternehmen auch für seine Leute in Russland hat, und aufkommenden Forderungen aus der Bevölkerung oder von Kunden, sich dort wirtschaftlich zurückzuziehen. Wenn zutreffen sollte, dass ausländischen Firmen in Russland die Enteignung droht, hätten die Unternehmen dies allerdings ohnehin nicht mehr in der Hand.

 

„Wir müssen besonnen reagieren“

 

Beim Dekordrucker Schattdecor, mit Standorten in Tschechov und Tjumen in Russland aktiv, will man sich aktuell nicht im Detail äußern. Nur so viel: „Was das Ganze aus wirtschaftlicher Sicht bedeutet und kurz-, mittel- oder langfristig mit sich bringen wird, bleibt abzuwarten. Vorrangig ist in diesem Konflikt nun erst einmal die menschliche Komponente: Mitgefühl, Solidarität, Diplomatie und ein sensibles, besonnenes Handeln.“ Vom Wettbewerber Impress gibt es überhaupt kein Statement. Hettich hat einen Krisenstab aus verschiedenen Bereichen wie Vertrieb, Produktion, Finanzen, Logistik, Kommunikation eingerichtet. Der teilt auf Anfrage mit, dass es wegen der Kriegswirren derzeit keine Geschäftsaktivitäten in der Ukraine gebe und aufgrund der unklaren Lage und der Auswirkungen der anlaufenden Sanktionen auch Lieferungen von Waren an die Gesellschaft in Russland vorerst und bis zur weiteren Klärung ausgesetzt wurden. Auch bei Hettich und auch beim Tiroler Holzwerkstoffhersteller Egger liegt die Betonung auf Betroffenheit und Verantwortung – und Hilfsmaßnahmen werden unterstützt und organisiert. Egger ist mit gleich zwei Werken in Russland vertreten: in Shuya/Iwanovo und in Gagarin/Smolensk und hat dort über 1.000 Beschäftigte. Beide Werke produzieren derzeit und auch die Rohstoffversorgung sei – zu hohen Preisen – gesichert. Auch die beiden anderen osteuropäischen Werke in Biskupiec (Polen) und Radauti (Rumänien) produzieren regulär. „Wir müssen besonnen reagieren“, sagt Interprint-Geschäftsführer Holger Dzeia. Interprint beschäftigt an den beiden russischen Produktionsstandorten Samara und Egorievsk rund 300 Leute, die nach wie vor arbeiten. „Das sind zwei sehr erfolgreiche Unternehmen, für die es jetzt ums Überleben geht. Wir hoffen, dass die Zahlungsströme offenbleiben und wir diesen Menschen eine Perspektive geben können.“ Auch bei Interprint, das hört man durch, war in den letzten Wochen wie bei vielen anderen das bestimmende Thema: Hilfe organisieren.

 

 

 

 

 

 


 

 

Anzeige

Login

Hier zum Newsletter anmelden: