Brisanz, nicht nur in Brilon
Egger zur Lage in Osteuropa, zu Kosten- und Materialtrends
22.02.2022 | 20:32
Die Märkte werden volatiler, die Welt komplexer. Wenn Holzwerkstoffspezialist Egger heute über seine Produkte und Lösungen sprechen will, muss er dies fast schon tun wie ein Rohstoffbörsenhändler auf ganz viel Koffein.
Einen „positiven Ausblick“ aufs Jahr 2022 gibt es beim Holzwerkstoffspezialisten Egger. Das sagte Michael Egger junior während der digitalen Eggerzum. Allerdings sind die Entwicklungen auf den Rohstoffmärkten und im Bereich der Logistik durchaus nicht ohne. Man muss sich also ein ganz dickes „Trotzdem“ davor denken. Und Egger muss sich auch erklären seinen Kunden gegenüber, die aus der Holzwerkstoffindustrie ja ebenfalls in einer nie dagewesenen Schlagzahl mit immer neuen Preisanhebungen konfrontiert werden. Ein paar Zahlen aus 2021 und teilweise aus 2022 begleiten also die Dekorpräsentation. Melamin: 150 Prozent teurer, Methanol: zwischen 30 und 50 Prozent rauf. Holzpreiserhöhungen von bis zu 300 Prozent. Harnstoff: 200 Prozent. Letzterer korreliert stark mit den Preisentwicklungen auf dem Gasmarkt. Die Pressekonferenz fand wenige Stunden vor der Meldung statt, nach der die Bundesregierung jetzt Nord Stream 2 stoppen will. Was wiederum Folgen für die Energiepreise haben dürfte, weswegen das Thema Gaspreise am Dienstagabend bei Twitter steil geht. Die Russlandkrise war bei Egger da natürlich schon längst Thema. „Wir schauen mit großer Sorge nach Rumänien, auf die Ostukraine und nach Russland“, so Egger. Im Klartext: Schon jetzt ist es schwierig, von Russland aus polnische Werke zu beliefern. Und da Lkws an der östlichen Grenze zu Polen teilweise elf bis 15 Tage festsaßen, müssen die Imprägnate nun aus Brilon kommen. Dagegen muten die explodierten China-Containerfrachtkosten – das berühmte Beispiel von 4.000 auf 19.000 US-Dollar – schon fast unterkomplex an.
Große Investitionen, mehr Flexibilität
Dass das zu schaffen ist, hat sehr viel damit zu tun, dass die Gruppe in den letzten drei Jahren insgesamt etwa 1 Mrd Euro investierte – in allen Ländern und an fast jedem Standort. Und auch in naher Zukunft wird modernisiert und ausgebaut. Ob neue Lackieranlagen und Hochregallager (Brilon, Sommer beziehungsweise Winter 2021), die jeweils rund 450 Mio Euro an Investitionen in Lexington (USA) und Polen, den Ausbau in Rumänien, die neue Recyclinganlage in Großbritannien (ab Frühjahr 2022), die in Wismar geplante Leimfabrik, die im Sommer 2023 ans Netz gehen soll oder die 70 Mio Euro schweren Investitionen in St. Johann (auch hier ein neues Hochregallager): Egger bleibt zweckoptimistisch und sorgt dafür, dass flexibler agiert werden kann. In ziemlichem Wettbewerb stehe man mit den Pellets-Herstellern, darauf verwies Michael Egger junior mehrmals. Allein dieser Wettbewerb, die zusätzlich 300.000 Tonnen, die wortwörtlich verheizt werden; hier fiel dann dieser Satz: „Jetzt ist die Brisanz wirklich gegeben.“
Bislang war Egger komplett lieferfähig. Dazu musste in der Beschaffung wesentlich mehr Tatkraft gezeigt werden, als das bislang notwendig war. „Wir sind fast zum Chemiekonzern geworden“, sagte Egger über die vielen neuen Wege, die gegangen werden mussten. Längst nicht alle Preiserhöhungen des Jahres 2021 wurden schon weitergegeben. Da ging es also auch an die Marge. Die Taktung hat sich rasant verändert. Für Eggers Einkauf bedeutet das: Aus Jahreskontrakten wurden Quartalskontrakte wurden Wochenkontrakte. Den Kunden müsste man, so Egger weiter, eigentlich nun Verträge auf monatlicher Preisbasis anbieten. Im Verkauf habe man aber Quartalskontrakte. „Eine langfristige Preisstabilität kann derzeit nicht gewährleistet werden“, so Michael Egger junior. Dass auch Hersteller und Handel in puncto geringerer Marge mithelfen müssten, diesen Appell gab es auch noch. Ob es wirklich „Hilfe“ ist, die in St. Johann benötigt wird, die Frage werden sich die ebenfalls von allen Seiten mit Kostensteigerungen bombardierten Abnehmer beim Blick in die letzten Bilanzen schon stellen. Im ersten Halbjahr des laufenden Geschäftsjahres 2021/2022 (30.4.) jedenfalls sah es angesichts eines Gewinns nach Steuern von 250,8 (Vorjahr: 135,1) Mio Euro noch nicht aus, als würde die Gruppe direkt in die roten Zahlen rutschen.
Angesichts der berichteten Umwälzungen verwunderte es dann fast schon, dass zahlreiche neue Dekore und Materialtrends präsentiert wurden. Natürlich von „Materialpapst“ Klaus Monhoff, der auch bei der 29. Eggerzum neue Trends ins Spiel brachte. Mit einem feinen Unterschied: Nicht Megatrends mit 15 Jahren Dauer (etwa: Nachhaltigkeit) wurden identifiziert, sondern „Future Directions“ (wie: Gelebte Nachhaltigkeit), die zugleich in einem komplexeren Geflecht von Wechselwirkungen stehen. Und, um vom Material aufs Materielle zu kommen: Die Lösung Texture Matt (TM) auf Spanplatte bietet neben der Nachhaltigkeit auch einen deutlichen Kostenvorteil gegenüber den MDF-basierten Premiumprodukten. Damit sollen sich für Egger ebenso neue Kundenschichten eröffnen wie für die Hersteller.
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