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„Bei uns ist davon noch nichts angekommen“

Unterwegs im Wald mit FSC-Chef Dr. Uwe Sayer

26.11.2021 | 12:59

Holz ist der zentrale Rohstoff für die Möbelwirtschaft. Er wird teurer, knapper und umkämpfter. Gleichzeitig muss er weiterhin nachhaltig geerntet werden, wenn von ihm auch in 50 Jahren noch genug da sein soll. Jetzt schauen auch noch die Verbraucher immer genauer hin und fragen, wo er herkommt – oder wollen „Bio-Holz“ in ihren Möbeln verbaut haben. Wir haben mit FSC-Deutschland-Chef Dr. Uwe Sayer einen Tag im Wald verbracht. 

 

Ein Dienstagvormittag um 10 Uhr am Stuttgarter Hauptbahnhof. Der Zug aus München war fast pünktlich. Der INSIDE-Reporter steht noch nicht richtig am Bahnsteig, da schaut er schon auf ein Riesen-Ritter- Sport-Plakat auf der Dauerbaustelle. „Wir schützen Regenwald, indem wir die Hälfte der Plantagen unbewirtschaftet lassen.“ 

 

Was für ein thematisch passender Empfang. Der Zug aus Freiburg hat leichte Verspätung. Dr. Uwe Sayer, Geschäftsführer FSC Deutschland, und FSC-Medienmann Lars Hoffmann kommen aber dann doch an. Wir steigen zusammen in die U-Bahn, fahren ins Univiertel, spazieren an den Studentenwohnheimen vorbei. Die Sonne scheint, frisch ist`s. Und schön. Wenige hundert Meter weiter stehen wir im Naturschutzgebiet hinter der Uni, ja, mitten im Wald. Gut so, da wollten wir heute zusammen hin. Irgendwie witzig. Für eine Geschichte über das steigende Interesse am FSC-Label im Möbelmarkt in Zeiten der Lieferengpässe und der großen, alles überwölbenden Nachhaltigkeitsdiskussion waren wir vom INSIDE auf den FSC zugegangen. FSC-zertifiziertes Holz: Gefühlt traut sich fast kein Möbler mehr ohne auf eine Messe. Oder zumindest nicht ohne den Verweis auf Holz aus der Region. 

 

Massivholzhersteller sind fein raus, die gelten eh als nachhaltig. Aber die Masse an Spanplattenverarbeitern, die hat ein Thema. Sie muss nicht nur überhaupt Platten bekommen, sie sollte am besten auch zertifizierte Platten einsetzen. Auf den Herbstmessen wurde das Thema nochmal größer. Der Handel fragt immer genauer nach, weil die Kunden immer mehr fragen. Nervt natürlich. Traut sich aber keiner so sagen. Mittlerweile ist im Möbelmarkt zumindest allen klar: Man muss dem Kunden Antworten geben. Das FSC-Label ist in vielen Augen eine davon. Das alles erzählt man FSC-Geschäftsführer Sayer so im Plauderton auf dem Trampelpfad durch die ersten Douglasien, Fichten, Mehlbeeren und wenigen Eichen. Und Sayer sagt: „Das ist interessant, was Sie erzählen. Bei uns ist davon noch nichts angekommen. Und bei den Forstbetrieben schon gar nicht.“ Es ging schnell. Wir sind mitten im Thema. 

 

Vier Stunden werden wir weiter über alles sprechen, über das Ökosystem Wald, die Idee des FSC, die Kritik am FSC, die große ökologische und soziale Frage, über Biodiversität, das optimale Waldbinnenklima, Wasserhaltefähigkeit der Bäume, Rückegassen, Bejagung und Befahrung und die große Streitfrage: die Baumartwahl. Und wir werden darüber jetzt öfter im INSIDE schreiben. Man sollte öfter in den Wald gehen für einen inspirierenden Spaziergang. Auch auf dem nächsten INSIDE Branchen-Gipfel wird Sayer sprechen. 

 

Sayer ist studierter Forstwissenschaftler und promovierter Ökologe, seit 20 Jahren beim FSC. Er hat diverse Revisionsprozesse der FSC-Kriterien mitgemacht, hat sich der Kritik gestellt, wenn deutsche Medien über Raubbau auf ausgewiesenen FSC-Flächen in Russland, der Ukraine oder in Afrika schreiben. Sayer hat mit seinem rund 15-köpfigen Team das FSC-Siegel als Warenzeichen nochmal deutlich bekannter gemacht in den vergangenen Jahren. Rund 50 Prozent der Deutschen kennen das FSC-Logo heute. Knapp 70 Prozent vertrauen ihm. Am Ende ist das Siegel ein Warenzeichen. Es soll ökologische Mindeststandards mit ökonomischen Interessen übereinbringen. Über die Frage, wer hier in Zeiten des Klimawandels mehr gehört werden sollte, darüber kann man mit Sayer lange sprechen. Greenpeace ist – sehr vereinfacht ausgedrückt – aus dem FSC ausgetreten, weil ein Warenzeichen am Ende dafür da ist, Konsum anzuregen. Es ginge aber nur mit weniger Konsum. Sayer kann die Position nachvollziehen. Und trotzdem voll hinter dem FSC stehen, ohne dass es komisch wirkt. „In Zeiten des Klimawandels kann die Ökonomie jedenfalls nicht mehr der Treiber sein, es muss die Ökologie sein“, sagt Sayer. Es werde weiter und immer mehr Akteure geben, die Holz verarbeiten wollten. Umso mehr müsse das Ziel lauten, sagt Sayer: „Wir müssen klimastabile Wald-Öko-Systeme schaffen, wenn auch in 50 Jahren jeder noch sein Holz haben will.“ Maßstab für die Bepflanzung könne deshalb heute nicht sein, was in 100 Jahren vielleicht gebraucht wird. Das Ziel kann nur sein: „Ein gesunder Wald.“ 

 

Vielleicht sagt man es so am treffendsten. Sayer ist kein Dogmatiker. Ihn treibt das Machbare. Er weiß alles über den Wald. Und er glaubt daran, dass mit Mindeststandards oft mehr gewonnen ist als mit der reinsten Lehre, dass es wichtig ist, dass die Wirtschaft sich mit Fragen der nachhaltigen Waldwirtschaft aktiv auseinandersetzt – und dass genau das eine Chance ist: für den Wald und die Wirtschaft. Klar ist für Sayer aber in Zeiten der steigenden Siegel- Nachfrage: „Es darf kein Wachstum auf Kosten der Qualität geben.“ Man müsse das Regelwerk nicht anpassen. „Wir rennen nicht der Fläche hinterher.“ Man hört es dennoch raus. Auch im FSC-Deutschland-Vorstand ist die Diskussion noch nicht abgeschlossen. Ob es Zugeständnisse gibt? Komplett offen. 

 

Deutschland ist der größte Holzproduzent Europas. 11,4 Mio Hektar Wald stehen hier. Es wird mehr oder weniger das jährlich genutzt, was jährlich zuwächst. Allein daraus zu schließen, die deutsche Waldwirtschaft sei per se nachhaltig, hält Sayer für einen großen Trugschluss. „Es geht um den Wald als Ökosystem und nicht allein darum, dass genügend von irgendeinem Holz da ist“, sagt er. Wir bleiben auf einer Lichtung stehen. Zeit für ein paar kuriose Fakten über den deutschen Wald. Der FSC-Wald in Deutschland steht vor allem im Süden des Landes, die meisten Holzverarbeiter mit FSC-Zertifikat befinden sich eher im Norden. 48 Prozent des deutschen Waldes sind in Privatbesitz, u.a. Familien wie Thurn und Taxis, Hatzfeldt-Wildenburg oder Christian Erbprinz zu Fürstenberg gehört er. Nur etwas mehr als 10 Prozent sind FSC zertifiziert. In absoluten Zahlen: FSC-Deutschland kann 1,44 Mio zertifizierte Hektar melden, sie verteilen sich auf 56 Zertifikate, die wiederum für 134 Waldbesitzer stehen. Einer FSC-Zertifizierung unterziehen sich nur wenige private Waldbesitzer, denn sie empfinden viele der Kriterien als Enteignung. Wald ist für sie Einkommen. Das ist nachvollziehbar. Aber ist es auch gut? 

 

FSC zertifiziert wird auf politischen Druck – oder aus Überzeugung. Sayer sagt es so: „Der absolute Vorteil durch eine FSC-Zertifizierung, nämlich, dass der Waldbesitzer mehr Geld für sein Holz bekommt, der fehlt.“ Dort kommt jedenfalls fast nichts an. Gleichzeitig will nicht nur die Möbelwirtschaft immer mehr zertifiziertes Holz. Konzerne wie Sonae Arauco oder auch Ikea haben deshalb, wie man hört, schon selbst Gespräche mit Forstbetrieben angestoßen, um sie zu einer Zertifizierung zu bringen. Sayer will dazu nichts sagen. Nur so viel: „Wir haben mit vielen Forstbetrieben gesprochen, einen Aufschlag um 1 bis 5 Prozent bräuchten sie sicher, um eine FSC-Zertifizierung auch im eigenen ökonomischen Interesse für sinnvoll zu erachten.“ Kann es daran scheitern? Naive Frage. Schon klar. 

 

Gerade steht eigentlich wieder ein neuer Revisionsprozess bei FSC-Deutschland an. In den drei Kammern der Nichtregierungsorganisation (eine wirtschaftliche, eine soziale und eine ökologische gibt es – alle müssen zustimmen) sind intensive Diskussionen am Laufen. In Zeiten des Klimawandels, der Erderwärmung und des sterbenden Fichtenwalds in diesen Breitengraden wirken viele Zugkräfte aufeinander ein. Die Umweltverbände drängen eher auf eine Beibehaltung der bestehenden Kriterien, Industrievertreter eher auf eine Lockerung. Beispiel Baumartenwahl: Wie viele fremdländische Bäume (z.B. Douglasien, Schwarzkiefern) darf der Förster pflanzen? Der FSC sagt aktuell: maximal 20 Prozent. Und schon hat der private Waldbesitzer eher wieder keinen Bock auf FSC. 

 

Wir kommen an einer dicken Eiche vorbei, sicher 160 Jahre alt. So einen Baum will kein Förster zu einer Platte verarbeitet sehen. Da muss ein schönes Massivholzmöbel draus werden. Auf jeden Fall muss ein guter Preis erzielt werden. Doch bis so eine Eiche ausgewachsen ist, da braucht der Waldbesitzer Geduld. Um die Eiche herum, Douglasien, Fichten, dünne Bäumchen. Rund 50 Prozent des Laubholzes gehen heute alleine in die energetische Nutzung. Was ist die klügste Holzverwendungsart? Sayer: „Die Gesellschaft muss sich das schon fragen: Welche Produkte will man aus dem Wald?“ Rein aus Altholz wird man alle Spanplatten der Zukunft auch nicht pressen können. Und nur über Recycling wird es auch nicht gehen. Die Diskussion, wie der Holzbedarf zu decken ist, wird nicht nur die Abnehmer, sondern auch die Waldbesitzer in Zukunft beschäftigen. Eine nachhaltige, biodiverse Waldwirtschaft wird es am Ende sein müssen. 

 

Wir schauen wieder auf die Studentenwohnheime und verabreden uns für einen nächsten Beitrag im INSIDE Spezial Neue Ideen Ende Januar über FSC-Mix und viel mehr. Zum Abschied sagt Sayer, kurz bevor er mit seinem Kollegen Hoffmann in den Zug springt: „Wie man es dreht und wendet. Es wird weniger Rohstoff zur Verfügung stehen in Zukunft. Die Möbelbranche wird mit einem zunehmend knappen Rohstoff leben müssen. Darüber sollten sich alle Beteiligten am besten heute Gedanken machen.“

 

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